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Das Hospital der Verklärung.

Das Hospital der Verklärung.

Titel: Das Hospital der Verklärung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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glaubte. Wozu auch? Er war eine ausgezeichnete Uhr, der ein Schräubchen, ein Schriftsteller, dem ein kleines Gewicht fehlte. Ein Geringes, und er hätte ein polnisch schreibender Conrad werden könne. Aber das wäre ja zu beheben gewesen.«
    Er zog das Hemd über.
    »In jener Zeit habe ich Gott verloren. Nicht, daß ich aufhörte zu bekennen: Ich verlor ihn so, wie ein anderer seine Frau verliert, ohne jeden Grund und unwiederbringlich. Ich quälte mich, denn ich bedurfte eines Orakels. Es brauchte nicht mehr viel, und er hätte mich fertiggemacht!
    Übrigens: An etwas glaubte er doch. An sich selbst nämlich. Er strahlte diesen Glauben aus wie manche Frauen ihren Sex-Appeal. Obendrein war er so berühmt, daß er immer recht behielt. Er las einige von den Versen, die ich ihm gebracht hatte, und gab sein Urteil ab. Unsere Beziehungen glichen etwa denen zwischen dem Mops und dem Mond. Ich war natürlich ein recht bissiger Mops«, sagte er schmunzelnd, während er sich mit Schwung die Krawatte umband. »Er zerlegte alles in Primfaktoren, grübelte ein Weilchen und wies mir dann nach, warum das nichts tauge. Nach einigem Zögern erlaubte er mir schließlich, doch weiterzuschreiben. Er erlaubte es mir, verstehen Sie?« Sekulowski schnitt eine widerliche Grimasse. »Na ja, das ist alt und verjährt. Aber wenn ich so bedenke, daß sein Name der Jugend von heute leerer Schall ist, dann überrieselt es mich vor Wonne. Eine Rache, zu der man keinen Finger krumm zu machen brauchte, die das Leben selbst bereitet hat. Sie reifte langsam heran wie eine Frucht. Ich kenne nichts Süßeres …« Und mit größter Genugtuung verschnürte der Poet kreuzweise die silbernen Kordeln an seiner Kamelhaarjacke.
    »Sind Sie der Ansicht, daß kein Zeitgenosse einen genialen Menschen beurteilen kann? Muß sich van Goghs Geschichte immer und ewig wiederholen?«
    »Wie soll ich das wissen! Gehen wir ins Zimmer, hier ist es ja heiß zum Ersticken.«
    »Ich denke, daß so mancher Irrer ein unausgewogenes Genie ist: Ihm fehlt nur irgend so ein kleines Gewicht, wie Sie zu sagen beliebten. Zum Beispiel der Morek …« Und Stefan erzählte von dem geistesgestörten Rechenkünstler.
    Sekulowski unterbrach ihn zornig: »Ein schönes Genie! Genau wie euer Pajączkowski, nur nicht in so gehobener Stellung.«
    »Pajączkowski ist immerhin eine Kapazität in der Psychiatrie … Man nehme vor allem seine Arbeiten auf dem Gebiet der Zyklophrenie«, widersprach Stefan entrüstet.
    »Ja, ja. Die meisten Wissenschaftler sind solche Rechenkünstler. Sie sabbern und geifern zwar nicht, aber sie sehen nichts außer ihrem engbegrenzten Fachgebiet. Ich kannte mal einen Lichenologen. Sie wissen wahrscheinlich nicht, was das ist?« fügte er unerwartet hinzu.
    »Doch, doch«, behauptete Stefan, der es tatsächlich nicht wußte.
    »Nun … wie soll ich sagen, ein Kräutersammler, ein Spezialist für Moose und Flechten«, erläuterte Sekulowski für alle Fälle. »So eine Vogelscheuche, ein rechter Hanfschädel. Sein Latein reichte gerade zum Klassifizieren, seine Physiologie zum Artikelschreiben, und er verstand so viel von Politik, daß er sich mit seinem Hauswart ungezwungen unterhalten konnte. Ging ein Gespräch über die Flechten hinaus, wurde er stumm. In unserer Welt wimmelt es von solchen ›genialen Rechenkünstlern‹, nur haben diese ihre armselige Fähigkeit in eine gesellschaftlich nützliche Richtung gelenkt, und so läßt man sie in Ruhe. Die Literatur ist voll von Leuten, die im Gedanken an eine postume Veröffentlichung ihrer Briefe ihre Wäscherechnung stilisieren. Na … und die Ärzte?«
    Stefan überging die heikle Sphäre der ärztlichen Praxis mit Schweigen, um aus Sekulowski noch diese oder jene interessante Formulierung herauszubekommen. Aber das endete mit einem beleidigenden Vorschlag. Wütend ging er nach oben.
    Dieser Mensch versteht es wie kein zweiter, mich aufzuregen, dachte Stefan ungerecht. Um sich zu entschädigen, beschloß er, eine Weile vor der eigenen Tür zu lauschen. Der Flur war dunkel und leer. Stefan trat auf Zehenspitzenheran. Stille. Was waren das für Geräusche? Knisterte da nicht ein Kleid? Die Decke? Plötzlich ein klatschender Laut, wie wenn der Kolben aus einer Spritze gestoßen würde. Danach wieder völlige Stille, unterbrochen von Schluchzen. Ja, ganz unverkennbar weinte jemand. Nosilewska? Das schien ihm doch zu unwahrscheinlich. Er klopfte anfangs leise und, da niemand antwortete, noch einmal lauter und ging

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