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Das Hospital der Verklärung.

Das Hospital der Verklärung.

Titel: Das Hospital der Verklärung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Schwerelosigkeit der Hand, die seine eigenen, auf der Decke ruhenden Finger streichelte. Das kam so dumm heraus, daß er sich schämte.
    »Danke, ich esse nichts. Das brauche ich nicht mehr. Ich hatte dir soviel zu sagen, aber nun auf einmal … Ich habe mir nämlich letzte Nacht alles zurechtgelegt. Nicht mal schlafen kann ich mehr«, klagte er.
    »Warte, ich schreibe dir gleich etwas auf.« Stefan zogseinen Rezeptblock aus der Tasche. »Wer behandelt dich überhaupt? Marcinkiewicz?«
    »Ja, aber laß nur. Das ist jetzt schon einerlei.« Er sank in die Kissen zurück. »Stefan, für jeden von uns kommt die Zeit, da die größte Sorge darin besteht, daß nur ja kein Äderchen im Gehirn platzt. Es ist dumm, aber plötzlich hat man den Drang weiterzuleben. Wüßte man es im voraus … Aber das geht ja nicht.«
    Die streichelnde Hand hielt entmutigt inne.
    »Wir haben uns so wenig gekannt. Ich hatte nie Zeit. Jetzt sehe ich, daß es im Grunde einerlei ist: Ob man nun hastet oder nicht, man gelangt ans gleiche Ziel. Bedaure nie etwas, mein Junge, nie.« Er schwieg. Dann fügte er hinzu: »Laß es dich niemals verdrießen, daß du hier und nicht anderswo gewesen bist, daß du etwas hättest tun können und nicht getan hast. Glaube nicht daran. Du tatest es nicht, weil du es nicht konntest. Alles hat nur einen Sinn, weil es einmal zu Ende geht. Siehst du: Immer und überall – das ist doch dasselbe, als wenn du sagtest: nie und nirgends. Bedaure nicht, merk dir das!«
    Wieder brach er ab; nur ging sein Atem jetzt geräuschvoller als zuvor.
    »Eigentlich wollte ich dir nicht das sagen. Aber nicht einmal der Kopf will mir mehr parieren.«
    »Vater, vielleicht sollte ich dir doch was verschreiben … Ich weiß ja nicht … Nimmst du Medikamente?«
    »Die stechen mich schon mit ihren Nadeln«, entgegnete der Vater, »mach dir keine Gedanken. Du hast doch etwas gegen mich, stimmt’s? Sag es ruhig!«
    »Aber woher …«
    »Wir wollen uns doch jetzt nichts mehr vormachen. Ich weiß, du bist immer unzufrieden mit mir gewesen. Nie war Zeit da. Und schließlich waren wir uns fremd. Siehst du, ich wollte nie auf mich verzichten, offenbar liebteich dich nicht, denn sonst wäre … was, weiß ich übrigens nicht. Sag mal, Stefan, hast du es gut?«
    Stefan wußte nicht, was er antworten sollte.
    »Ich frage nicht, ob du glücklich bist. So etwas merkt man immer erst hinterher. Der Mensch lebt von der Abwechslung. Wie ist es, hast du kein Mädchen? Möchtest du nicht heiraten?«
    Stefan würgte es in der Kehle. Da lag nun ein Sterbender, ein Fremder fast, und dachte an ihn. Würde ich das auch fertigbringen? fragte er sich und fand nicht einmal darauf eine Antwort.
    »Du sagst nichts? Also hast du eins?«
    Stefan verneinte mit gesenktem Kopf. Die blauen Augen des Vaters waren blutunterlaufen, vor allem aber sahen sie übermüdet aus.
    »Na ja. Bei solchen Dingen kann man nicht raten. Aber eins möchte ich dir sagen: Wir Trzynieckis sind nun einmal so geartet, daß wir eine Frau brauchen. Allein kommen wir nicht zu Rande. Der Mensch muß aber sauber sein, wenn sein Leben in Ordnung sein soll. Du warst immer ein Trotzkopf; vielleicht drücke ich mich auch falsch aus. Aber du konntest nie verzeihen, und gerade darauf kommt es an. Mehr braucht der Mensch nicht. Ich weiß nicht, ob du es lernen wirst. Jedenfalls soll man von einer Frau weder Schönheit noch Geist verlangen, nur eins: Sanftmut. Gefühl. Alles andere kommt von selbst. Aber wenn sie nicht sanft sind …« Er schloß die Augen. »… taugen sie nichts … Und dabei gehört doch so wenig dazu …« Dann sagte er mit seiner gewohnten kräftigen Stimme: »Du brauchst natürlich nichts davon zu beherzigen, wie du willst. Keine Ratschläge annehmen ist auch eine Klugheit. Aber dann wirklich gar keine. So, und jetzt … Was wollte ich dir nur sagen? Ach so: Im Schreibtisch liegen drei Kuverts.«
    Stefan machte große Augen.
    »Und im unteren Geheimfach«, flüsterte der Vater, »ist eine Rolle mit rotem Bändchen – der Entwurf zu meinem Pneumomotor. Der ganze Plan. Hörst du? Vergiß es nicht. Sobald die Deutschen weg sind, trägst du es zu Frąckowiak, damit ein Modell angefertigt wird. Er weiß schon wie.«
    »Aber Papa«, sagte Stefan, du triffst hier Anordnungen, als ob … als handelte es sich um dein Testament. Und dabei fühlst du dich doch ganz wohl, nicht wahr?«
    »Das schon, aber einmal höre ich auf, mich überhaupt zu fühlen«, entgegnete der Vater ungeduldig. Er

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