Das Hospital der Verklärung.
sei schwer krank, Stefan solle sofort kommen.
Er bat Staszek, ihn zu vertreten. Pajączkowski bewilligte ihm ohne weiteres einen mehrtägigen Urlaub.
»Es wird noch alles gut werden«, sagte Pajączkowski, sich räuspernd, und schüttelte Stefan herzlich die Hand, »und wenn Sie schon einmal dort sind, dann können Sie vielleicht erfahren, was die Deutschen im Schilde führen.«
»Wie bitte?«
»Hören Sie sich um, schlimme Nachrichten erreichen uns hier …«
»Ich verstehe Sie nicht.«
»Nun ja, nichts Besonderes, Kollege, nichts Besonderes …«
Als Stefan unter dem Vorwand, sich von ihm verabschieden zu wollen, Sekulowski aufsuchte, war der Dichter beim Schreiben. Seine Haare sträubten sich, als ginge Elektrizität von ihnen aus, die Pupillen zitterten jedesmal, wenn er eine besonders intensive Erleuchtung hatte. Seine dröhnende, metallische Stimme war schon im Flur zu hören gewesen, Stefan hatte die Wort vernommen:
»Was ist mein Herz? Ein Planet voller fliehender roter
Termiten,
Die hasten auf eigenen Pfaden; du fragst, was mein
»Ich« wohl bedeute:
Ein dunkeläugiger Weg ist’s, mit Mädchen geschmückt
und Styliten.
Im Sterben jetzt liege ich, vom eigenen Leib getötet; ich
scheide.
Nacht, die den Schleier, den letzten, den einzigen noch,
mir entrissen,
Tod, da du nahst mir als Mädchen mit Schenkeln, die
triefen vom Blute,
Um auf mein Haupt dich zu stürzen: So muß ich die
Heimstätte missen …«
Als Stefan eintrat, verstummte der Dichter. Nach einer Weile erzählte ihm Stefan die Geschichte von dem kleinen Bildhauer.
»Der Würgeengel?« sagte Sekulowski. »Warten Sie, das ist interessant. Interessant …«
Er kritzelte mit seiner eckigen Schrift gewissenhaft ein Kärtchen voll. »Gewürgt seien die Stillen, denn ihrer ist das Himmelreich«, las er vor.
Dann sah er Stefan mit zitternden Augen an.
»Dafür, daß Sie mir ein bißchen geholfen haben, will ich Ihnen etwas zeigen.«
Er begann in den Papieren zu wühlen, die auf der Bettdecke verstreut lagen.
»Mir schwebt eine Darstellung der Erdgeschichte von einem anderen Planetensystem vor. Die Einführung könnte ungefähr so lauten.« Er nahm ein Blatt in die Hand und las: »Da ist eine Gebärmutter, eitrig von Sonnen: das All. Es wimmelt darin von Myriaden Sterneiern. Ein wütender Zeugungsakt … Schlacke und schwarzen Staubausstoßend, folgt Pulsschlag auf Pulsschlag, Finsternis auf Finsternis …« Er improvisierte, denn auf dem kleinen Bogen hatten nur wenige kurze Sätze gestanden.
»Wohin?« fragte Stefan unwillkürlich.
»Irgendwohin, das ist ja gerade der Witz.«
»Glauben Sie daran?«
Sekulowski hielt den Atem an. Er hob den helläugigen Kopf. Sein verzücktes Gesicht war schön in diesem Augenblick.
»Nein«, sagte er, »ich glaube das nicht, ich weiß es.«
Stefans Reise war ein einziger Alpdruck: dreimal Speckkontrolle, Gendarmen, rüscksichtslose Fenster und Türen stürmende Menschenmassen, die Abteile ohne Beleuchtung, voll von säuerlichem Schweißgeruch, obendrein verwanzt. Es war unmöglich, in dem entsetzlichen Gedränge seine persönliche Würde zu wahren, da sie in der Dunkelheit ohnehin unsichtbar blieb und da Schweigen als Zeichen der Unterwerfung ausgelegt wurde. Nach einer Stunde fluchte Stefan wie ein Bierkutscher.
Im Hause empfing ihn der vertraute Sauerkrautduft, und im ersten Stock dominierte der süßlich-muffige Geruch der Pelzmacherwerkstatt, der sogleich ganze Schichten von Erinnerungen in Stefan zum Leben erweckte.
Beim Anblick der zerkratzten braunen Wohnungstür mit dem flachen Löwenkopfrelief über der Schwelle konnte er nur mit Mühe ein Gefühl der Rührung unterdrücken. Ach ja, die alte Tür …
Der Flur war mit allerhand Gerümpel, Regalen und Blechen vollgestellt; in dem schwachen Licht boten die Modelle der halbfertigen Apparate des Vaters, die sich in flaumiger Spinnwebenverkleidung auf den Schränken türmten, das Aussehen makabrer Tierentwürfe. Die Mutter wohnte, wie Tante Skoczyńska ihm gleich im dramatischenFlüsterton mitteilte, bereits seit einem Monat auf dem Lande, da das Geld nicht mehr gereicht habe. Die Tante umarmte ihn in der Tür; er versank schier in der naphthalingeschwängerten Üppigkeit ihrer Büste. Sie gab ihm einen Schmatz, riskierte eine Träne und schob ihn sanft ins Eßzimmer, wo er sich erst einmal stärken sollte.
Die Tante rückte die etikettierten Konfitürennäpfe hin und her und erzählte dabei von steigenden Fettpreisen und von
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