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Das Hospital der Verklärung.

Das Hospital der Verklärung.

Titel: Das Hospital der Verklärung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Nizza-Olivenöl geschmacklich aufgebessert. Ein Jude wollte mir ein ganzes Faß von dem Öl abtreten, aber er kam ins KZ …«
    Stefan küßte dem Vater die Hand und wollte gehen.
    »Bleib doch! Ich muß noch von meinen Koteletts zu Ende erzählen!«
    Ganz kindisch ist er geworden, der Alte, dachte Stefan nicht ohne eine gewisse Rührung, die jedoch keine Spur von Ergriffenheit mehr enthielt, wie er sie am Morgen empfunden hatte.
    Er begab sich zum Bahnhof. Dabei hatte er völlig außer acht gelassen, daß die Deutschen da waren und mit ihnen die Okkupation: Die Rückreise nach Bierzyniec erwies sich vor lauter Gedränge und lärmendem Durcheinander als undurchführbar. Die Menschen krochen geradezu wie die Maden durch die Abteilfenster. Ein bärtiger Hüne verbarrikadiertesich im Abort und wuchtete seine prallen Koffer zum Fenster herein; selbst die Dächer blieben nicht verschont. Stefan war solchen Reisemethoden nicht gewachsen. Vergebens bemühte er sich mitzukommen, indem er beteuerte, er müsse unbedingt nach Bierzyniec. Man gab ihm den wohlgemeinten Rat, doch hinterherzulaufen. Er wollte gerade resigniert umkehren, als jemand ihn am Ärmel zupfte. Es war ein Unbekannter in fleckiger Mütze und karierter Joppe, die aus einer Wolldecke geschneidert war.
    »Sie wollen auch nach Bierzyniec?«
    »Ja.«
    »Platzkarte haben Sie nicht, wie?«
    »Nein.«
    »Vielleicht versuchen wir es gemeinsam, aber man muß schon was springen lassen.«
    »Mir macht es nichts aus …«, versicherte Stefan. Der Fremde tauchte in der Menge unter. Bald darauf kam er zurück und zog den Schaffner am Ärmel neben sich her.
    »Einen Złoty geben Sie … das heißt einen Hunderter«, erklärte er dem staunenden Stefan. Der zahlte, worauf der Schaffner die Banknoten zu den anderen in seinem Notizbuch legte, sich die Finger anfeuchtete, sie an den Taschen abwischte und den Wagenschlüssel hervorholte. Sie folgten ihm, indem sie unter dem Waggon hindurch auf die andere Seite krochen, und sahen sich im Nu in einem winzigen Abteil.
    »Gute Reise«, sagte der Schaffner höflich, wobei sich seine Schnurrbartenden auf und ab bewegten, salutierte und ließ die beiden allein.
    »Ich bin Ihnen sehr zu Dank verpflichtet«, sagte Stefan, aber sein Reisegefährte schaute zum Fenster hinaus und schien sich nicht mehr für ihn zu interessieren. SeinGesicht war noch nicht alt, aber es wirkte verbraucht: dunkler Teint, der Mund schmal und eingefallen. Als er seine Joppe anhängte, fielen Stefan die schweren großen Hände auf, die geübt schienen, kantige Gegenstände zu greifen. Die Fingernägel waren dick und undurchsichtig wie Schieferplättchen. Er zog sich die Mütze tief in die Stirn und rutschte in die Ecke. Der Zug ruckte an. In ihrem Abteil hätten gut noch zwei Personen Platz gehabt. Die Reisenden im Gang hatten das sehr wohl bemerkt, und ihre Mienen wurden zusehends finsterer. Gleich an der Tür stand ein elegant gekleideter Mann mit fettem, verweichlichtem, gleichsam ewig feuchtem Gesicht. In gewissen Abständen rüttelte er an der Klinke und klopfte immer energischer. Schließlich fing er an zu rufen, aber da seine Stimme durch die Scheibe nicht zu hören war, zog er eine Bescheinigung aus der Tasche und zeigte sie hinter dem Glas; sie trug einen deutschen Stempel.
    »Sofort aufmachen!« schrie er. Stefans Gefährte stellte sich eine Zeitlang taub, aber schließlich sprang er auf und brüllte: »Halt die Schnauze! Hier ist Dienstabteil, verstanden, du Rindvieh!«
    Der andere murmelte zu seiner Ehrenrettung etwas in seinen Bart und trollte sich. Von da an verlief die Reise ohne Zwischenfälle. Als die sanft ansteigende Hügelkette ankündigte, daß Bierzyniec bald in Sicht sein würde, erhob sich der Fremde und warf die Joppe über, deren Schoß dumpf gegen die Holzwand schlug, als wäre er mit Metall gefüllt. Das kam Stefan seltsam vor, aber er machte sich weiter keine Gedanken. Der Zug bog in die Kurve und fuhr in den leeren Bahnhof ein. Die Bremsen quietschten. Die beiden sprangen ab. Hinter ihnen schnaufte die Lokomotive bergan. Sie passierten die Sperre. Gleich hinter dem Stationsgebäude bot sich ihnen das pathetische Landschaftsbild des Herbstes dar. Stefan blickte in die Sonne,blinzelte geblendet und ging weiter, die Lider halb geschlossen, unter denen es rot flimmerte.
    Der Fremde schritt schweigend an seiner Seite. Sie ließen das Städtchen hinter sich und bogen in den Hohlweg ein; hier schien der Fremde den Schritt zu

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