Das Hospital der Verklärung.
wollte jetzt keinen Trost. »Dieser Pneumomotor ist die große Chance. Glaube mir. Ich weiß, was ich sage. Also, du nimmst es nachher an dich oder am besten gleich jetzt.«
Er ließ den Kopf auf seinen zitronengelben, zusammengeschrumpften Hals fallen und flüsterte eindringlich: »Tante Mela ist unmöglich. Un-mög-lich!« beteuerte er. »Man kann ihr nicht für einen Sechser trauen. Hol die Sachen jetzt, ich gebe dir die Schlüssel.«
Als er versuchte, die Hosen vom Stuhl zu ziehen, wäre er beinahe aus dem Bett gefallen. In den Hosentaschen fanden sie schließlich mit vereinten Kräften das Schlüsselbund unter einem furchtbar schmutzigen Taschentuch, einer Drahtrolle und einer Zange. Der Vater hielt es vor das eine Auge, wie ein Vogel, wählte einen kleinen Wertheimschlüssel und reichte ihn Stefan.
Als Stefan aus dem Kabinett zurückkehrte, war der Vater eingenickt. Er wachte aber sogleich auf. »Was ist? Ach, du bist es. Nun, hast du sie?«
Dann schaute er Stefan lange an, als wollte er sich an etwas erinnern. Schließlich sagte er: »Ich bin nicht gut gewesen zu deiner Mutter. Sie weiß nichts davon, daß ich jetzt … Ich wollte nicht …«
Dann meinte er noch: »Du hingegen … denke daran. Vergiß es nicht!«
Als Stefan hinausgehen wollte, rief er ihm nach: »Kommst du wieder?«
»Aber ja, Papa, ich wollte nur noch einiges erledigen, zum Mittagessen bin ich zurück.«
Der Vater ließ sich in die Kissen fallen.
Dr. Marcinkiewicz besaß eine Praxis voll Glas und Helle mit Sollux und drei Quarzlampen, was sicherlich mit der Aussiedlung der jüdischen Ärzte ins Ghetto zusammenhing. Jedes dritte Wort, das er an ihn richtete, war »Kollege«, aber Stefan fühlte, daß er es nicht ernst meinte. Sie verachteten einander nach Kräften. Ohne Umschweife legte ihm Marcinkiewicz dar, wie hoffnungslos der Zustand seines Vaters sei: Die Steine seien eine Lappalie, die Angina pectoris hingegen, die zwar keinen typischen Verlauf zeigte, denn die Schmerzen seien schwach und strahlten nicht aus, gebe angesichts der Veränderungen an den Kranzgefäßen zu den schlimmsten Befürchtungen Anlaß. Er breitete ein Elektrokardiogramm auf der geschliffenen Schreibtischplatte aus und wollte seine Erläuterungen anbringen, doch Stefan winkte ärgerlich ab. Erst kurz vor seinem Abgang war er wieder höflicher, als er den anderen bat, sich seines Vaters weiter anzunehmen. Ein Honorar wies Marcinkiewicz ab. Er tat das jedoch so wenig überzeugend, daß Stefan trotzdem Geld auf den Schreibtisch legte. Und er hatte das Zimmer noch nicht verlassen, da waren die Scheine bereits in der Schublade verschwunden.
Dann durchstöberte Stefan mehrere Buchhandlungen auf der Suche nach »Gargantua und Pantagruel«. Seit langem hatte er sich auf das Buch gefreut; nun, da er Geld besaß, wollte er sich Boy-Zeleńskis Meisterübersetzung kaufen. Sie war jedoch nirgend zu haben; Bücherwaren knapp. Zu guter Letzt hatte er doch noch Glück in einem Antiquariat. Auf Grund seiner alten Bekanntschaft mit dem Buchhändler erstand er auch einige Lehrbücher, die sonst nur an Deutsche abgegeben wurden, sowie die letzte Nummer einer deutschen Fachzeitschrift, die Pajączkowski interessierte. Er hatte ein recht schweres Paket heimzutragen und beschloß daher, die Straßenbahn zu benutzen. Gerade kam ein entsetzlich überfüllter Wagen an; hinter den verschwitzten Scheiben hüpften Silhouetten auf und ab, verschwommen wie in einem Aquarium. Mit der freien Hand – die andere hielt das Bücherpaket – klammerte er sich am Türgriff fest und konnte noch auf dem Trittbrett Fuß fassen, da spürte er plötzlich, daß jemand ihn kunstgerecht am Kragen packte und hinunterzog. Um nicht zu fallen, sprang er auf die Fahrbahn. Vor ihm stand ein glattrasierter junger Deutscher in schwarzer Uniform, der ihn ohne viel Federlesens mit dem Ellenbogen beiseite schob. Als Stefan nun ganz benommen nach ihm aufsteigen wollte, wurde er von einem zweiten, offenbar dem Freund des ersten, noch heftiger heruntergezerrt.
»Mein Herr!« rief Stefan. Da ließ ihn ein dumpfer, wenngleich schmerzloser Schlag taumeln: Der andere hatte ihm mit seinem blankpolierten Stiefel ins Gesäß getreten. Die Straßenbahn klingelte und fuhr ab.
Stefan war zurückgeblieben. Etliche Passanten blieben stehen und betrachteten ihn neugierig. Das verwirrte ihn noch mehr. Er tat, als hätte etwas auf der anderen Straßenseite sein Interesse geweckt, und ging zu Fuß, ohne die nächste Bahn
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