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Das Hospital der Verklärung.

Das Hospital der Verklärung.

Titel: Das Hospital der Verklärung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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verlangsamen.
    »Wollten Sie etwa zum Sanatorium?« fragte Stefan verwundert.
    Jener antwortete nicht gleich. »Keineswegs. Ich wolte nur ein wenig Luft schnappen.«
    Sie legten noch einige hundert Schritt gemeinsam zurück. Vor der Waldmauer am Ende des Hohlwegs – der Ziegelbau war noch nicht zu sehen – kam Stefan unverhofft der rettende Gedanke. Er blieb stehen. »Hören Sie, bitte …«, murmelte er.
    Der Fremde machte ebenfalls halt und blickte ihm eindringlich in die Augen.
    »Möchten Sie vielleicht zum Schalthaus? Sie brauchen mir nicht zu antworten … Wenn ich Ihnen raten darf: Gehen Sie lieber nicht hin!«
    Der Fremde sah ihn prüfend an, spöttisch und mißtrauisch zugleich; seine Lippen umspielte ein Lächeln, seine Augen blitzten durch zwei enge Schlitze. Er sprach kein Wort und rührte sich auch nicht vom Fleck.
    »Die Deutschen sind dort …« Gepreßt brachte Stefan die Worte heraus. »Gehen Sie nicht hin! Den Woch haben sie verhaftet und abgeführt. Angeblich … angeblich, weil …« Er brach ab.
    »Wer sind Sie?« fragte der Fremde. Sein Gesicht war grau wie Stein, er schob eine Hand in die Tasche. Das angedeutete ironische Lächeln, das stets auf seinen Lippen lag, war zur leeren Grimasse erstarrt.
    »Ich bin ein Arzt aus dem Sanatorium. Ich kannte ihn …«
    Stefan führte den Satz nicht zu Ende.
    »In dem Schalthaus sitzen Deutsche, sagten Sie?« DerFremde sprach wie einer, der eine schwere Last zu tragen hat. »Nun, das geht mich nichts an«, fügte er gedehnt hinzu. Ihm war anzumerken, wie sich in seinem Kopf die Gedanken jagten. Mit einemmal riß er sich zusammen und trat so nahe an Stefan heran, daß sein Atem ihn streifte. »Und die anderen?«
    »Die Pościks?« fragte Stefan bereitwillig zurück. »Geflohen. Die Deutschen haben sie nicht erwischt. In den Wäldern sind sie, bei den Partisanen. Das heißt, ich weiß es auch nur vom Hörensagen …«
    Der Fremde sah sich um, ergriff Stefans Hand, drückte sie kurz, aber so fest, daß es schmerzte, und ging davon, geradeaus auf den Wald zu. Kurz vor der Straßenbiegung erklomm er den Hang zur Seite und verschwand zwischen den Bäumen. Erleichtert aufatmend, stieg Stefan den Hügel hinauf zum Sanatorium. Vor dem Steinbogen wandte er sich um und schaute hinab auf die Felder, um seinen Reisegenossen noch einmal zu sehen. Eine Weile täuschten ihn die Stämme zwischem dem zitronengelben und rostbraunen Laub. Aber dann erblickte er ihn. In weiter Ferne, reglos, stand der Fremde, ein schwarzer Tupfen in einer windstillen Landschaft. So verharrte er einen kurzen Augenblick; dann beugte er sich vor, tauchte unter zwischen den Bäumen und blieb verschwunden.
    Am Eingang des Männerpavillons stand – ein seltener Anblick im Garten – Pajączkowski im Gespräch mit dem Pfarrer Niezgłoba. Der Pfarrer erfreute sich bereits seit mehreren Wochen der besten Gesundheit und hätte seine seelsorgerischen Pflichten eigentlich längst wiederaufnehmen können, doch seine Vertretung in der Diözese lief erst am Jahresende ab. Und übrigens gab er ganz ehrlich zu, daß er keine Lust hatte, Weihnachten bei seinen Pfarrkindern zu verbringen.
    »Es klingt lächerlich«, meinte er, »aber bei uns ist jedergleich beleidigt, wenn man nicht ein Gläschen mittrinkt. Zu Neujahr ist es nicht anders, am schlimmsten aber wird’s zu Ostern, wenn die Speisen geweiht werden sollen. Kein Mensch würde auf meine Gesundheit Rücksicht nehmen, ich würde mich ihrer einfach nicht erwehren können, und ich darf doch nicht trinken. Da bleibe ich schon lieber hier, wenn Sie, Herr Professor« – so pflegte er Pajączkowski zu titulieren –, »mich nicht hinauswerfen.«
    Der alte Adjunkt hatte eine Schwäche für die Kirche. Dieser Schwäche allein war es vor Jahren einmal zu verdanken gewesen, daß zwei Barmherzige Schwestern nicht entlassen wurden, obwohl sie die Kranken bekanntermaßen rücksichtslos behandelt hatten. Damals war eine Patientin im Bade tödlich verbrüht worden, und es erschien eigens eine Prüfungskommission vom Gesundheitsministerium. Die beiden Schwestern kündigten aber bald darauf von selbst, weil er sie, wie es hieß, heimlich unter Druck gesetzt hatte.
    Nun drängte der Pfarrer, am kommenden Sonntag in der kleinen Kapelle, die an der nördlichen Gartenmauer stand, eine Messe lesen zu dürfen. Die Genehmigung hatte er bereits auf dem Pfarramt eingeholt und auch sonst alles Nötige besorgt, ihm fehlte nur noch die formale Zustimmung des »Herrn Professors«.

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