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Das Hospital der Verklärung.

Das Hospital der Verklärung.

Titel: Das Hospital der Verklärung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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schon den Pfleger rufen, unterließ es jedoch. Der Kranke hatte sich tief über ein Beet gebeugt und streichelte mit steifer Hand unbeholfen das Silbergras.

ACHERON
    S TEFAN kehrte vom Spaziergang zurück. Die Gräben zu beiden Seiten der Straße prangten in flaumigem Gold, als hätte Ali Babas Maultier aus aufgeschlitzten Säcken die Zechinen verloren. In nächster Nähe flammte eine Kastanie am grauen Himmel gleich einer geborstenen Messingrüstung. Dahinter stand wie eine rostbraune Mauer der Wald. Stefan schritt rascher aus; das gelbe und braune Laub raschelte in dicken Schichten unter seinen Füßen. Seine Farbnuancen schwankten um den Grundton Rot wie ein musikalisches Motiv, das in verschiedener Instrumentation dargeboten wird. Die Allee, die von hier an bergab führte, glomm im orangenen Dämmerschein. In weiter Ferne, am Horizont, welkten Obstgärten. Der Wind jagte rauschende Blätterwolken über eine Kavalkade von Stämmen hinweg. Den tausendfachen Glanz noch in den Augen, betrat Stefan die Bibliothek, um sein Buch zu holen, das er dort gelassen hatte.
    Er traf Pajączkowski, der am Telefon stand und den Hörer so heftig ans Ohr drückte, daß es weiß wurde. Man hörte nur, wie er stotterte: »Ja … ja-ja … jawohl … ja …«
    Danach dankte er ungestüm und legte den Hörer mit beiden Händen auf.
    Er mußte sich am Apparat festhalten. Stefan eilte auf ihn zu. »Mein Gott … Herrgott …«, flüsterte Pajączkowski. Stefan fühlte, daß Mitleid ihn erfaßte. »Ist Ihnen unwohl? Soll ich Coramin holen? Ich laufe sofort zur Apotheke …«
    »Ach wo, nicht nötig … Mir fehlt gar nichts …«, stammelte der Greis. Er richtete sich auf und tastete sich wie ein Blinder die Wand entlang zum Fensterbrett.
    Der flammende Herbst, von Modergeruch gesättigt und durch das goldgetönte Laub gedämpft, wogte an das Fenster wie eine Flut.
    »Sehen Sie? Das ist also das Ende …«, sagte er plötzlich. »Das Ende«, wiederholte er tonlos. Sein graues Haupt sank auf die Brust. »Ich gehe zum Professor. Ja, ich gehe hin. Wie spät haben wir’s?«
    »Fünf.«
    »Dann ist er bestimmt … in seiner Wohnung.«
    Der Professor war immer dort zu finden. Jetzt, da er sich zum Gehen umwandte, schien der alte Herr Stefan endlich zu bemerken. »Und Sie … Sie kommen mit.«
    »Ich? Warum denn? Was ist denn los, Herr Adjunkt?«
    »Vorläufig noch nichts. Gott wird das nicht zulassen. Nein, er läßt es nicht zu. Und auch wir werden unser möglichstes tun … Sie müssen mit als Zeuge. Übrigens kann ich dann auch freier reden. Sie wissen ja, die Magnifizenz …«
    Diese Bemerkung war ein Fünkchen Pajączkowskischen Humors, das jedoch gleich wieder erlosch.
    Es war ein großer Unterschied, ob man den Gemeinschaftssaal oder die Wohnung eines der Ärzte betrat oder ob man zum Professor ging. Seine Tür allerdings war weißlackiert wie alle anderen. Pajączkowski klopfte so behutsam, daß es drinnen nicht zu hören war. Er wartete und versuchte es ein zweites Mal lauter. Stefan wollte schon selbst eingreifen, aber der Adjunctus stieß ihn ärgerlich beseite.
    »Herein!«
    Wie kraftvoll diese Stimme war! Sie standen schon in ihrem Bann, als sie kaum eingetreten waren.
    Das Zimmer, das Stefan bereits kannte, sah im Glanz der untergehenden Sonne verändert aus. Die weißen Wände flammten feurig rot. Es lohte wie die Höhle einesLöwen. Der Golddruck brannte auf den Buchrücken wie eine seltsame Intarsie. Der Zauberbogen der Sonne entlockte den dunklen Polituren der Kommode und der Regale tiefe Mahagoniakkorde. Flimmernde Lichtkreise lagen auf den Holzmaserungen, helle Funken sprühten im Haar des Professors, der wie immer in seinem ausladenden Sessel saß und unbewegt von einem dicken Band zu den beiden aufschaute.
    Mit einiger Mühe hatte Pajączkowski die einleitenden Worte hinter sich gebracht: Er bitte um Verzeihung, er wisse sehr wohl, daß er störe, eine Vis maior jedoch, das Wohl der Allgemeinheit, gebiete es … Und endlich gelangte er zum Kern der Sache: »Euer Magnifizenz, ich habe soeben einen Anruf vom Apotheker Kocierba aus Bierzyniec erhalten. Heute morgen seien in Bierzyniec eine Kompanie Deutsche und Hajdamakenpolizei, das heißt vielmehr Ukrainer, angekommen. Ihnen war strengstes Stillschweigen befohlen, aber einer hat geplaudert. Sie sollen unser Sanatorium liquidieren.« Hier schrumpfte Pajączkowski zusammen, nur seine kleine Hakennase schob sich vor: Er war am Ende.
    Der Professor, ein Mann der exakten

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