Das Hotel (German Edition)
leise und friedlich vor sich hin schnarchende Gestalt. «Jenny, wach auf», sagte sie laut und streckte eine Hand aus, um das Mädchen an der Schulter zu schütteln. «Du musst mir helfen. Ich weiß nicht, wo Mascha ist – jedenfalls nicht in der Küche.»
Jenny knurrte unwillig, drehte sich dann aber um und streckte sich wie eine Katze. «Sie ist gestern Abend zu diesem dicken Schwaben aufs Zimmer verschwunden», nuschelte sie. «Wahrscheinlich ist sie immer noch da.»
«Da dürftest du recht haben», meinte Veronika bissig. «In der Küche ist sie jedenfalls nicht, und in ihrem Zimmer auch nicht. Dann musst du mir eben helfen mit dem Frühstück. Steh auf, Jenny!»
Maulend gehorchte Jenny, und Veronika eilte zurück in die Küche. Es war auch höchste Zeit, denn hinter den Türen begann es sich zu regen. Stühlerücken, das Rauschen von Wasser und das Klappen von Schranktüren waren sichere Anzeichen dafür, dass die Gäste demnächst ihr Frühstück verlangen würden.
Hektisch begann sie mit den Vorbereitungen, unsicher, was genau zu machen war. Glücklicherweise schien Jenny den Ernst der Lage erfasst zu haben, denn das Kaffeewasser kochte noch nicht einmal, als sie bereits in die Küche gestürzt kam. Sie war noch dabei, ihr übergroßes T-Shirt in die Hose zu stopfen. «Was soll ich tun?», erkundigte sie sich bereitwillig.
Zu zweit schafften sie es tatsächlich gerade noch. Als Sven Heinemann als Erster die Treppe herunterkam und fröhlich einen «Guten Morgen» wünschte, war das Büfett fertig aufgebaut, der Kaffee stand in den Kannen bereit, und Veronika holte die Brötchen herein, die der Bäcker frühmorgens vor die Haustür gelegt hatte.
«Guten Morgen», erwiderte sie Sven Heinemanns Gruß. «Haben Sie gut geschlafen?»
«Wie ein Stein», gab er zurück und zwinkerte ihr etwas anzüglich zu. «Ich habe nicht mal mehr gehört, wann Willi sich in sein Zimmer zurückgezogen hat.»
Veronika konnte es nicht ändern, sie wurde rot. Also drehte sie sich rasch um und zog sich unter einem Vorwand in die Küche zurück.
Leider konnte sie sich nicht ewig in der Küche verstecken. Sobald Leonora an Willis Arm unten erschien, war keine Zeit mehr, vermeintliche oder echte Peinlichkeit ihm gegenüber zu empfinden. Die alte Dame war bester Stimmung und genoss es sichtlich, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen. Und auch Willi benahm sich so, als hätte jene Begegnung im Schwimmbad niemals stattgefunden. Kein Zwinkern, keine heimliche Geste verriet etwas davon, was sie beide gestern Abend miteinander getrieben hatten. Erleichtert verdrängte auch Veronika die ungewöhnliche Massagesitzung aus ihrem Bewusstsein und fragte so freundlich-distanziert wie eine typische Pensionswirtin, die bereits Hunderte von Gästen kommen und gehen gesehen hatte: «Tee oder Kaffee?»
Manfred Schmidt tauchte erst auf, als die Heinemanns bereits das Haus Richtung Messe verlassen hatten. Bis auf eine gewisse Blässe deutete nichts auf nächtliche Exzesse hin. Er roch nach Zahnpasta und Rasierwasser und sprach dem Frühstück mit gesundem Appetit zu. Ja, er nahm sogar von dem Rührei mit Schinken, das Veronika ihm anbot, zwei Portionen nach.
«Hab es nicht übers Herz gebracht, das Mädle zu wecken», erklärte er kauend. «Vielleicht war der ganze Obstler doch zu viel für sie! Wer’s net gewohnt ist …» Er ließ den Rest taktvoll ungesagt. Jenny und Veronika tauschten einen amüsierten Blick. Wenn eine von ihnen harte Sachen vertrug, dann war es Mascha. Sollte sie wirklich ihren Meister gefunden haben?
Kaum hatte Herr Schmidt sich bis zum Abend verabschiedet, platzte Jenny heraus: «Hast du ihn auch so verstanden, dass die beiden sich gestern gegenseitig unter den Tisch getrunken haben?»
«Herr Schmidt machte nicht den Eindruck, als hätte Mascha ihn unter den Tisch getrunken. Eher umgekehrt! Vielleicht sollten wir mal nach ihr sehen.» Veronika empfand leichte Verärgerung über Maschas gedankenloses Verhalten. Was dachte sie sich dabei, so offen und ungeniert die Nacht mit einem der Gäste zu verbringen! Und dann noch ein Saufgelage mitzumachen! Für den Ruf ihres noch so jungen Unternehmens war es nicht gut, wenn der Eindruck entstand, die Damen, die ihn führten, seien allzu leicht zu haben.
Im Dschungelzimmer waren die Vorhänge noch geschlossen. Man fühlte sich tatsächlich wie im Urwald, kurz vor Sonnenaufgang. Auf dem breiten Rattanbett, vergraben im Bettzeug, war eine zusammengerollte Gestalt
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