Das Hotel (German Edition)
rund um die Uhr präsent und ansprechbar zu sein. Vielleicht war es ganz gut, dass sich für die nächste Zeit bisher nur ein einziger Gast angemeldet hatte.
«Ihr werdet es nicht glauben, wer gerade ein Zimmer gebucht hat», hatte Jenny vor Aufregung stotternd ausgerufen, als sie in die Küche gestürmt war.
«Na, der Papst war es wohl nicht», hatte Mascha ein wenig schnippisch zurückgegeben. Veronika hatte ihr einen missbilligenden Blick zugeworfen – Mascha neigte in letzter Zeit dazu, mit Jenny zunehmend ungeduldig umzugehen – und gefragt, wer es denn Ungewöhnliches sei.
«Ein Conte Ludovico di Sarrastro», war Jenny herausgeplatzt, wobei sie die einzelnen Silben genüsslich auf der Zunge rollte. «Klingt das nicht toll? Wie aus einer Oper.»
«Eher nach einem Greis am Krückstock», hatte Mascha misslaunig vermutet. «Was für ein dekadenter Name!»
Jenny war sofort beleidigt aufgefahren, den unbekannten Conte zu verteidigen, und Veronika hatte die beiden Streithähne beruhigen müssen.
Nun, bis der Herr eintraf, hatten sie noch etwas Zeit, und Veronika wollte schon seit längerem mit Mascha in ihren bevorzugten Dessousladen. Sie liebte schöne Unterwäsche und konnte es partout nicht verstehen, wieso Mascha sich dafür nicht begeistern konnte. Also hatte sie sich vorgenommen, die Freundin zu bekehren: Statt wie bisher preiswerte Sport-BHs vom Discounter zu kaufen, würde sie Mascha zu Satin und Spitze verführen! Ihre wunderbare Figur würde in luxuriöser Wäsche erst richtig zur Geltung kommen. Sie konnte es schon vor sich sehen: Maschas üppige Brüste, dargeboten auf den Schalen einer Korsage aus dunkelgrünem Satin und schwarzer Spitze. Die Nippel knapp verdeckt, aber der milchkaffeebraune Warzenhof unter der Spitzenborte hervorlugend; die prallen Pobacken, die sich unter dem Korsagenrand wölbten und verlockend zu rufen schienen: Streichelt mich, packt mich!
In Kombination mit schwarzen Nahtstrümpfen, hochhackigen Pantoletten und – vielleicht – einem Hauch von Negligé aus Chiffon würde Mascha auf jeden halbwegs normal funktionierenden Mann unwiderstehlich wirken.
Anfangs hatte die sich allerdings standhaft geweigert, bei dem Unternehmen mitzumachen. «Ich habe keine Lust, mich von aufgetakelten Ziegen herablassend behandeln zu lassen», hatte Mascha Veronikas ersten, zaghaften Versuch in dieser Richtung entschieden zurückgewiesen. «Ich sehe sie schon hinter meinem Rücken verächtlich die Nase rümpfen. Nein, danke. Kein Bedarf!»
«Sie werden überhaupt nicht die Nase rümpfen!», hatte Veronika sie zu überreden versucht. «Im Gegenteil. Sie werden blass werden vor Neid, wenn sie sehen, wie überwältigend die Garnituren auf einer Frau mit deiner Oberweite aussehen!»
Unter dem Vorwand, unbedingt einen hautfarbenen BH zu benötigen, hatte Veronika es schließlich geschafft, Mascha zum Mitkommen zu bewegen. «Du wirst sehen, so schlimm sind sie da gar nicht», sagte sie nun, während sie durch die Fußgängerzone schlenderten. «Schau doch mal, die Korsage da – die in Russischgrün – ist doch gerade wie für dich geschaffen!» Veronika war vor dem Schaufenster des Geschäfts «Belladonna» stehen geblieben und zeigte auf eine opulente Kreation, die ansprechend auf einem mit schwarzem Samt bezogenen Sessel arrangiert war. «Willst du sie nicht wenigstens mal anprobieren?»
Mascha zögerte, aber dass sie nicht sofort vehement abgelehnt hatte, fasste Veronika als Ermutigung auf, griff ihren Ellbogen und zog sie sanft, aber entschieden mit sich in den Laden.
Sofort kam eine wieselflinke ältere Dame auf sie zugeeilt, musterte die unbekannte Begleiterin ihrer langjährigen Kundin unauffällig und erkundigte sich nach ihren Wünschen.
«Ich suche einen leichten hautfarbenen BH», sagte Veronika. «Und könnte meine Freundin einmal die dunkelgrüne Korsage aus dem Schaufenster anprobieren?»
«Selbstverständlich, Frau Lohgerber.» Die Frau rang sichtlich mit sich, ehe sie schnell und leise hinzufügte: «Darf ich sagen, wie sehr es mich freut, Sie wieder bei uns begrüßen zu dürfen?» Rasch wandte sie sich ab, als sei ihr diese fast private Äußerung peinlich, und sagte mit professioneller Stimme. «Wenn Sie schon mal ablegen wollen? Ich bringe Ihnen gleich eine Auswahl, will nur schnell die Maße Ihrer Freundin nehmen.»
Stocksteif ließ Mascha die kurze Prozedur über sich ergehen. Die Verkäuferin schien nicht so arrogant zu sein wie diejenigen, mit denen sie es
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