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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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oder der Bahn, von der Haltestelle gegenüber der Oper; für die Alte Billig würde Baden immer viel leichter erreichbar sein als Frankreich.
    Als wir ins Hotel kamen, sagte Franny, alle Gäste seien bereits im Haus. Die Familie aus New Hampshire hatte sich vor einer Stunde schlafen gelegt. Ein junges schwedisches Ehepaar war sogar noch früher zu Bett gegangen. Ein alter Mann aus dem Burgenland hatte sein Zimmer den ganzen Abend nicht verlassen, und ein paar begeisterte Radfahrer aus England waren betrunken nach Hause gekommen, hatten zweimal nach ihren Fahrrädern im Keller geschaut, mit Susie dem Bären herumzualbern versucht (bis sie knurrte) und schliefen nun zweifellos auf ihren Zimmern ihren Rausch aus. Ich ging auf mein Zimmer, um Gewichte zu heben - und kam in dem magischen Augenblick an Lillys Tür vorbei, als ihr Licht ausging; sie hatte für diesen Abend aufgehört zu wachsen. Ich machte ein paar Unterarmübungen mit der langen Hantel, aber ich war nicht recht bei der Sache; es war zu spät. Ich machte die Gewichtübungen nur, weil ich mich langweilte. Ich hörte die Schneiderpuppe gegen die Wand zwischen meinem und Franks Zimmer krachen; etwas in seinen Büchern hatte Frank verärgert, und er ließ seine Wut an der Puppe aus - oder auch ihm war nur langweilig. Ich klopfte an die Wand.
    »Bleib immer weg von offenen Fenstern«, sagte Frank.
    »Wo ist die Gemütlichkeit?« sang ich halbherzig.
    Ich hörte Franny und Susie den Bären an meiner Tür vorbeihuschen.
    »Vierhundertvierundsechzig, Franny!« flüsterte ich.
    Ich hörte, wie im Stockwerk über mir Freuds Baseballschläger mit einem kompakten Tschack! aus einem Bett fiel. Babettes Bett, rechnete ich aus. Vater schlief fest, wie üblich - und hatte schöne Träume, keine Frage; er träumte und träumte. Ein Mann schimpfte auf dem Treppenabsatz im ersten Stock, und ich hörte Jolantas Antwort. Ihre Antwort bestand darin, daß sie ihn die Treppe hinunterwarf.
    »Kummer«, hörte ich Frank murmeln.
    Franny sang das Lied, zu dem Susie sie bewegen konnte, deshalb versuchte ich mich auf den Streit in der Lobby zu konzentrieren. Für Jolanta war es ein leichter Streit, das war gut zu hören. Das ganze Wehgeschrei kam von dem Mann.
    »Dein Schwanz ist so schlapp wie ein nasser Socken, und dann willst du mir erzählen, das sei meine Schuld?« sagte Jolanta. Darauf folgte das Geräusch eines Hiebes, den der Mann hinnehmen mußte - ihr Handballen und sein Unterkiefer? spekulierte ich. Schwer zu sagen, aber dann kam ein eindeutiges Geräusch: der Mann fiel wieder hin. Er sagte etwas, aber seine Worte klangen erstickt. Drückte Jolanta ihm den Hals zu? fragte ich mich. Sollte ich Frannys Lied unterbrechen? Gab es da Arbeit für Susie den Bären?
    Und dann hörte ich Kreisch-Annie. Ich glaube, jeder in der Krugerstraße hörte Kreisch-Annie. Ich glaube, selbst einige elegante Leute, die in der Oper gewesen waren und nun eben die Sacher-Bar verließen und auf der Kärntner Straße nach Hause gingen, müssen Kreisch-Annie gehört haben.
    Im November 1969 - fünf Jahre nachdem wir Wien verlassen hatten - beherrschten eines Morgens zwei Meldungen, zwischen denen es keinen Zusammenhang zu geben schien, die Schlagzeilen in der Stadt. Vom 17. November 1969 an, so wurde gemeldet, waren der Graben und die Kärntner Straße für die Prostituierten gesperrt - wie auch sämtliche Querstraßen der Kärntner Straße mit Ausnahme der Krugerstraße. 300 Jahre lang hatten diese Straßen den Huren gehört, doch nun ließ man ihnen nur noch die Krugerstraße. Meiner Meinung nach gaben die Wiener schon vor 1969 jeden Versuch auf, die Krugerstraße zu retten. Meiner Meinung nach gab Kreisch-Annies getürkter Orgasmus in der Nacht, als die Familie aus New Hampshire bei uns wohnte, den Ausschlag für die amtliche Entscheidung. Dieser eine getürkte Orgasmus erledigte die Krugerstraße.
    Und am selben Tag im Jahr 1969, an dem die österreichischen Behörden die Verbannung der Prostituierten von der Kärntner Straße in die Krugerstraße bekanntgaben, enthüllten die Zeitungen auch, daß eine neue Donaubrücke einen Sprung bekommen hatte; nur wenige Stunden nach der feierlichen Einweihung bekam die Brücke plötzlich einen Sprung. In der offiziellen Darstellung wurde der armen Sonne die Schuld gegeben. Meiner Meinung nach war das nicht der Sonne zuzuschreiben. Nur Kreisch-Annie konnte eine Brücke sprengen - selbst eine neue Brücke. Sie muß in dieser Nacht bei offenem Fenster

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