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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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sie.
    »Aber das Hotel jagen sie nicht auch noch in die Luft, oder?« fragte ich Fehlgeburt.
    »Alle werden hineingezogen«, sagte sie dunkel. »Das muß so sein, sonst taugt es nichts«, sagte sie, und ich hörte Arbeiters Stimme durchklingen, oder Ernsts alles einschließende Logik. Eine Phase, eine notwendige Phase. Alles. Schlagobers, die Erotik, die Staatsoper, das Hotel New Hampshire - alles mußte weg. Es war alles dekadent, hörte ich ihn predigen. Es war alles ekelhaft. Sie würden die Ringstraße mit Kunstliebhabern bedecken, mit altmodischen Idealisten, die in ihrer Borniertheit und Irrelevanz gern in die Oper gingen. Irgend so etwas würden sie mit dieser Art des Alles-in-die-Luft-Sprengens schon beweisen.
    »Versprich es mir«, flüsterte mir Fehlgeburt ins Ohr. »Du holst sie da heraus. Deine Familie. Alle, die dazugehören.«
    »Ich verspreche es«, sagte ich. »Natürlich.«
    »Sag keinem, daß du's von mir hast«, sagte sie zu mir.
    »Natürlich nicht«, sagte ich.
    »Bitte komm jetzt wieder in mich rein«, sagte Fehlgeburt. »Ich möchte dich so richtig in mir spüren - nur einmal«, fügte sie hinzu.
    »Warum nur einmal?« fragte ich.
    »Mach es einfach«, sagte sie. »Mach alles mit mir.«
    Ich machte alles mit ihr. Ich bereue es; ich fühle mich seither immer schuldig; verzweifelter und freudloser konnte auch der Sex im zweiten Hotel New Hampshire nicht sein.
    »Wenn du glaubst, du stirbst, bevor du auch nur ein Kind haben kannst«, sagte ich zu Fehlgeburt, danach, »warum gehst du dann nicht weg, wenn wir weggehen? Warum verschwindest du nicht, bevor sie es tun oder bevor sie es versuchen?«
    »Ich kann nicht«, sagte sie einfach.
    »Warum?« fragte ich. Ewig fragte ich diese Radikalen in unserem Hotel New Hampshire: warum?
    »Weil ich den Wagen fahre«, sagte Fehlgeburt. »Ich bin die Fahrerin«, sagte sie. »Und der Wagen ist die Hauptbombe, die all das andere auslöst. Und jemand muß ihn fahren, und das bin ich - ich fahre die Bombe«, sagte Fehlgeburt.
    »Warum du?« fragte ich sie und versuchte, sie festzuhalten, in der Hoffnung, sie würde zu zittern aufhören.
    »Weil ich am entbehrlichsten bin«, sagte sie, und da war wieder Ernsts tote Stimme, da war Arbeiters Rasenmäher-Denken. Mir wurde klar, daß Fehlgeburt das nicht ohne weiteres geglaubt haben konnte; da mußte ihr selbst unsere sanfte Schwanger gut zugeredet haben.
    »Und warum nicht Schwanger?« fragte ich Fräulein Fehlgeburt.
    »Sie ist zu wichtig«, sagte Fehlgeburt. »Sie ist wunderbar«, sagte sie voll Bewunderung - und voller Selbstekel.
    »Warum nicht Schraubenschlüssel?« fragte ich. »Er versteht sich offensichtlich auf Autos.«
    »Eben deshalb«, sagte Fehlgeburt. »Er wird noch gebraucht. Es wird noch mehr Autos geben, noch mehr Bomben zu bauen. Was mir zu schaffen macht, ist die Sache mit den Geiseln«, stieß sie plötzlich hervor. »Es müßte nicht sein, diesmal«, fügte sie hinzu. »Es wird auch noch bessere Geiseln geben.«
    »Wer sind die Geiseln?« fragte ich.
    »Deine Familie«, sagte sie. »Weil ihr Amerikaner seid. Man wird uns dann auch außerhalb Österreichs beachten«, sagte sie. »Das ist die Idee.«
    »Wer hatte die Idee?« fragte ich.
    »Ernst«, sagte sie.
    »Warum macht Ernst nicht den Fahrer?« fragte ich.
    »Er liefert die Ideen«, sagte Fehlgeburt. »Er denkt sich alles aus. Einfach alles«, fügte sie hinzu. Wie wahr, dachte ich.
    »Und Arbeiter?« fragte ich. »Hat der das Autofahren nicht gelernt?«
    »Er ist zu loyal«, sagte sie. »Wenn jemand so loyal ist, dürfen wir ihn nicht verlieren. Ich bin nicht so loyal«, flüsterte sie. »Sieh mich an!« heulte sie. »Ich erzähle dir das alles, oder vielleicht nicht?«
    »Und was ist mit dem Alten Billig?« fragte ich schließlich noch.
    »Er ist nicht vertrauenswürdig«, sagte Fehlgeburt. »Er kennt nicht mal den Plan. Er ist zu glatt. Er denkt an das eigene Überleben.«
    »Und das ist schlecht?« fragte ich und wischte ihr die Haare aus dem verheulten Gesicht.
    »In dieser Phase, da ist es schlecht«, sagte Fehlgeburt. Und ich begriff, was sie war: eine Leserin, nur eine Leserin. Sie verstand es prächtig, die Geschichten anderer Leute zu lesen; sie ließ sich lenken; sie folgte dem Führer. Daß ich Moby-Dick von ihr vorgelesen haben wollte und daß die Radikalen sie das Auto fahren ließen, hatte denselben Grund: Wir wußten beide, daß sie es tun würde; sie würde es durchziehen.
    »Haben wir alles getan?« fragte mich

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