Das Hotel New Hampshire
akzeptierte - allerdings viel später. Da waren Vater und ich bereits ausgezogen.
An unseren ersten New Yorker Tagen war ich Franks Anrufbeantworter.
»Ich will dich, ganz schrecklich«, flüsterte Franny ins Telefon.
Franny war allein im Stanhope. »Lilly ist ausgegangen, zu einem literarischen Essen«, sagte Franny. Vielleicht würde Lilly auf die Weise wachsen, dachte ich: wenn sie zu vielen literarischen Essen ging. »Frank schaltet und waltet«, sagte Franny. »Er ist bei dem Essen dabei. Sie werden stundenlang zu tun haben. Und weißt du, wo ich jetzt gerade bin, Kleiner?« fragte mich Franny. »Ich bin im Bett«, sagte sie. »Ich bin nackt«, fügte sie hinzu, »und ich schwebe vierzehn verfickte Stockwerke über der Erde - deinetwegen bin ich so high«, flüsterte Franny. »Ich will dich«, sagte Franny. »Setz deinen Arsch in Bewegung und komm rüber. Jetzt oder nie, Kleiner«, sagte Franny.
»Solange wir es nicht ausprobieren, werden wir nie wissen, ob wir auf immer darauf verzichten können.« Dann legte sie auf. Eins der anderen Telefone Franks klingelte. Ich ließ es klingeln. Franny mußte gewußt haben, daß ich zum Laufen angezogen war; ich war bereit, sofort aus dem Haus zu laufen.
»Ich geh laufen«, sagte ich zu Vater. »Eine große Runde.« Eine Runde, von der ich vielleicht nicht mehr zurückkommen werde! dachte ich.
»Ich geh aber nicht ans Telefon«, sagte Vater verdrossen. Er hatte zu der Zeit das Problem, daß er sich zu nichts entscheiden konnte. Mit der Louisville-Keule und der Schneiderpuppe saß er in Franks herrlicher Wohnung und grübelte den ganzen Tag.
»Alles?« fragte er Frank immer wieder. »Ich kann absolut - allen Ernstes - alles tun, was ich will?« fragte er Frank etwa fünfzigmal in der Woche.
»Alles, Pop«, sagte Frank zu ihm. »Ich mach das schon für dich.«
Frank hatte für Lilly bereits einen Vertrag über drei Bücher zustande gebracht. Er hatte die Erstauflage für Wachstumsversuche ausgehandelt - 100 0000 Exemplare. Er hatte an Warner Brothers die Option auf die Filmrechte vergeben; des weiteren machte er mit Columbia Pictures einen Exklusivvertrag über ein Originaldrehbuch von den Ereignissen, die zu der Bombenexplosion vor dem zweiten Hotel New Hampshire führten - und zu der berühmten Opernbombe, die nie hochging. Lilly arbeitete bereits an dem Drehbuch. Außerdem hatte Frank einen Vertrag für eine Fernsehserie über das Leben im ersten Hotel New Hampshire ausgehandelt (auch dafür sollte Lilly das Buch schreiben) - Grundlage für diese Serie war Wachstumsversuche, und sie sollte erst freigegeben werden, wenn der Film in den Kinos war; der Kinofilm würde den
Titel Wachstumsversuche erhalten, die Fernsehserie den Titel ›Das erste Hotel New Hampshire‹ (damit, so betonte Frank, seien die Voraussetzungen für weitere Folgen geschaffen).
Aber wer, überlegte ich, würde es je wagen, aus dem zweiten Hotel New Hampshire eine Fernsehserie zu machen? Wer würde das überhaupt wollen? fragte sich Franny.
Wenn Lilly ein bißchen gewachsen war (durch ihre Arbeit an Wachstumsversuche), war Frank doppelt so schnell gewachsen - für uns alle (durch den Verkauf von Lillys Bemühungen). Es war, das wußten wir, keine kleine Anstrengung für Lilly gewesen. Und wir verfolgten besorgt, wie hart sie arbeitete, wie viel sie schrieb - mit welch grimmiger Entschlossenheit sie zu wachsen versuchte.
»Laß es locker angehen, Lilly«, riet ihr Frank. »Der Cashflow ist geradezu stürmisch - du bist enorm liquide«, sagte Frank, der Volkswirt, »und die Zukunft sieht rosig aus.«
»Laß dich einfach eine Weile treiben«, riet ihr Franny, aber Lilly nahm die Literatur ernst - auch wenn umgekehrt die Literatur Lilly eigentlich nie ernst genug nahm.
»Ich weiß, daß ich Glück gehabt habe«, sagte Lilly. »Nun muß ich es verdienen«, sagte sie - und gab sich noch mehr Mühe.
Doch eines Tages im Winter 1964 - es war unmittelbar vor Weihnachten - war Lilly bei einem literarischen Essen, und Franny hatte mir gesagt: jetzt oder nie. Es lagen nur etwa zwanzig Straßen und ein sehr kleiner Zoo zwischen uns. Jeder gute Mittelstreckenläufer kann in kürzester Zeit von der Central Park South zur Ecke Fifth Avenue und Eighty-first Street laufen. Es war ein Wintertag, frisch, aber grau. Die Straßen und Gehwege in New York waren vom Schnee geräumt - gute Bedingungen für einen schnellen, winterlichen Lauf. Der Schnee im Central Park sah alt und tot aus, doch mein Herz war
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