Das Hotel New Hampshire
wem mich ein Aufpasser
schützen muß«, sagte Franny zu mir.
Frank und Vater sollten meine Aufpasser sein; Vater und ich zogen mit Frank zusammen. Er fand eine Luxuswohnung an der Central Park South. Ich konnte auch von dort aus laufen, ich konnte durch den gesamten Central Park laufen, für Lilly nach dem Reservoir sehen und dann schweißtriefend und keuchend am Stanhope ankommen, um von der Gesundheit des Wassers und so weiter zu berichten, und um mich Franny zu zeigen - damit ich sie wenigstens flüchtig zu sehen bekam.
Für Franny, Vater und mich waren das nur vorübergehende Adressen, doch Frank und Lilly gehörten bald zu der Sorte von New Yorkern, die so an bestimmten Teilen des Central Park hängen, daß sie nie mehr wegziehen. Lilly verbrachte den Rest ihres Lebens im Stanhope und versuchte mit unermüdlichem Schreiben zur Größe des vierzehnten Stockwerks emporzuwachsen; wenn sie auch klein war, so war sie doch ehrgeizig. Und Frank, der Agent, schaltete und waltete an den sechs Telefonen in seiner Wohnung, Central Park South Nr. 222. Sie waren beide ungeheuer emsig - Lilly und Frank -, und ich fragte Franny einmal, was ihrer Meinung nach der Unterschied zwischen ihnen sei.
»Etwa zwanzig Straßen und der Zoo im Central Park«, sagte Franny. Das war genau die Entfernung zwischen ihnen, aber Franny gab zu verstehen, daß es auch der Unterschied zwischen Lilly und Frank war: ein ganzer Zoo und mehr als zwanzig Straßen.
»Und was ist der Unterschied zwischen uns, Franny?« fragte ich sie kurz nach unserer Ankunft in New York.
»Ein Unterschied zwischen uns besteht darin, daß ich über dich wegkommen werde, irgendwie«, sagte mir Franny. »So bin ich nun mal: ich komme über alles weg, auch über dich. Aber du wirst nicht über mich wegkommen«, warnte mich Franny. »Ich kenne dich, mein Bruder, mein Liebster«, sagte sie zu mir. »Und du wirst nicht über mich wegkommen - jedenfalls nicht ohne meine Hilfe.«
Sie hatte natürlich recht; Franny hatte immer recht - und war mir immer einen Schritt voraus. Als es endlich dazu kam, daß Franny mit mir schlief, sollte sie es in die Wege leiten. Sie wußte auch genau, warum sie es tat - als eine Erfüllung ihres Versprechens, uns Kinder zu bemuttern, nachdem unsere Mutter nicht mehr da war; als die einzige Möglichkeit, sich um uns zu kümmern; als die einzige Möglichkeit, uns zu retten. »Du und ich, wir haben Rettung nötig, Kleiner«, sagte Franny. »Aber vor allem du hast es nötig. Du glaubst, daß wir ineinander verliebt sind, und vielleicht glaube ich es auch. Es wird Zeit, dir zu zeigen, daß ich nichts Besonders bin. Es wird Zeit, die Luft aus dem Ballon zu lassen, bevor er platzt«, sagte mir Franny.
Sie entschied sich für den Zeitpunkt genau so, wie sie sich entschied, nicht mit Junior Jones zu schlafen - »um es aufzusparen«, wie sie sagte. Franny hatte immer ihre Pläne und ihre Gründe.
»Heiliger Strohsack, Mann«, sagte Junior Jones am Telefon zu mir. »Sag deiner Schwester, in Cleveland wartet ein Wrack von einem Mann auf ihren Besuch. Meine Knie sind im Eimer, aber alles andere funktioniert tadellos.«
»Ich bin kein Cheerleader mehr«, ließ Franny ihn wissen. »Setz deinen Arsch in Gang und komm nach New York, wenn du mich sehen willst.«
»Mann!« beklagte sich Junior Jones bei mir. »Sag ihr, ich kann nicht mal gehen. Ich hab beide Beine im Gips! An mir ist einfach zu viel dran, das läßt sich nicht auf Krücken rumschleppen. Und sag ihr, ich weiß, was für eine Scheißarsch-Stadt New York ist, Mann«, sagte Junior Jones. »Wenn ich da auf Krücken hinkomme, werden mich
gleich ein paar Typen überfallen und ausrauben wollen!«
»Sag ihm, er soll erst mal seine verdammte Footballphase hinter sich bringen, vielleicht findet er dann Zeit für mich«, sagte Franny.
»O Mann«, sagte Junior Jones. »Was will Franny bloß?«
»Ich will dich«, sagte Franny flüsternd zu mir am Telefon - als sie sich dafür entschieden hatte. Ich war in der Central Park South 222 und versuchte, all die Anrufe auf Franks Telefonen entgegenzunehmen. Vater beklagte sich über die Telefone - sie störten ihn bei seiner Hauptbeschäftigung, dem Radiohören -, und Frank wollte einfach keine Sekretärin, ganz zu schweigen von einem richtigen Büro.
»Ich brauche kein Büro«, sagte Frank. »Ich brauche nur einen Briefkasten und ein paar Telefone.«
»Versuch's wenigstens mit einem Anrufbeantworter, Frank«, schlug ich vor, was er dann auch widerwillig
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