Das Hotel New Hampshire
die Fifth Avenue hinunter bis zur Central Park South; auch wenn meine Schamteile höllisch weh taten, war ich doch sicher, daß ich das letzte Stück bis zu Franks Wohnung gehen konnte. Außerdem wollte ich mir die Weihnachtsdekoration vor dem Plaza anschauen. Ich nahm mir vor, einen kleinen Umweg zu machen, um mir bei F. A. O. Schwarz in den Schaufenstern die Spielsachen anzusehen. Ich mußte daran denken, wie sehr Egg wohl diese Schaufenster geliebt hätte; Egg war nie in New York gewesen. Aber Egg, so dachte ich mir, hatte sich wahrscheinlich die ganze Zeit bessere Schaufenster, mit noch mehr Spielsachen, vorgestellt.
Ich hinkte die Central Park South entlang. Das Haus mit der Nummer 222 liegt zwischen East Side und West Side, aber dem Westen etwas näher - eine perfekte Adresse für Frank, wie mir schien; und für uns alle, denn wir alle waren die Überlebenden des Symposions über Ost-West-Beziehungen.
Es gibt eine Photographie von Freud - von dem anderen Freud - in seiner Wohnung in Wien in der Berggasse 19. Er ist achtundfünfzig; es ist das Jahr 1914. Freud hat da einen »Ich-hab-es-ja-gesagt«-Blick; er sieht zugleich verärgert und besorgt aus. Er blickt so eindringlich wie Frank und so bekümmert wie Lilly. Der Krieg, der im August dieses Jahres begann, bedeutete schließlich das Ende der österreichisch-ungarischen Monarchie; dieser Krieg überzeugte auch Herrn Professor Doktor Freud, daß seine Diagnose der aggressiven und selbstzerstörerischen Triebe des Menschen ganz richtig gewesen war. Die Photographie läßt einen ahnen, woher Freud die Idee hatte, daß die Nase »Genitalform« habe. Freud hatte diese Idee »vom Spiegel«, wie Frank sagt. Ich glaube, Freud haßte Wien; für ihn spricht, daß auch unser Freud Wien haßte - Franny hatte als erste darauf hingewiesen. Auch Franny haßte Wien; sie würde in manchen Dingen immer eine Freudianerin sein, beispielsweise mit ihrer Verachtung für sexuelle Heuchelei. Und Frank war insofern Freudianer, als er etwas gegen Strauß hatte - »den anderen Strauß«, verdeutlichte Frank; er meinte Johann, den sehr wienerischen Strauß, der für die Operette Die Fledermaus dieses dämliche Lied schrieb: »Glücklich ist, wer vergißt, was doch nicht zu ändern ist.« Aber unser Freud und der andere Freud widmeten sich mit krankhafter Besessenheit Dingen, die vergessen waren - sie interessierten sich für Verdrängungen, für unsere Träume. Das machte sie beide sehr un -wienerisch. Und unser Freud hatte Frank einen Prinzen genannt; er hatte gesagt, keiner sollte Frank »schwul« nennen; auch der andere Freud hatte Franks Zuneigung gewonnen - als eine Mutter dem guten Doktor schrieb und ihn bat, ihren Sohn von seiner Homosexualität zu heilen, ließ Freud sie kurz wissen, Homosexualität sei keine Krankheit, da gebe es nichts zu »heilen«. Viele große Männer, belehrte der große Freud diese Mutter, seien Homosexuelle gewesen.
»Das trifft ins Schwarze!« rief Frank gerne aus. »Seht doch nur mich an!«
»Und seht mich an«, sagte dann Susie der Bär. »Warum hat er nichts von den großen Frauen gesagt? Wenn ihr mich fragt«, pflegte Susie zu sagen, »ich finde Freud ein wenig suspekt.«
»Welchen Freud, Susie?« stichelte Franny.
»Beide«, sagte dann Susie der Bär. »Du kannst wählen. Der eine schleppte einen Baseballschläger mit sich herum, der andere hatte dieses Ding an seiner Lippe.«
»Das war Krebs, Susie«, bemerkte Frank kühl.
»Sicher«, sagte Susie der Bär, »aber Freud sprach selber von ›diesem Ding an meiner Lippe‹. Er nannte Krebs nicht Krebs, aber bei anderen sprach er von Verdrängung.«
»Du bist zu streng gegen Freud, Susie«, sagte Franny.
»Er ist schließlich ein Mann, oder?« sagte Susie.
»Du bist zu streng gegen Männer, Susie«, sagte Franny.
»Das stimmt, Susie«, sagte Frank. »Du solltest es mal mit einem versuchen!«
»Wie wär's denn mit dir, Frank?« fragte ihn Susie, und Frank wurde rot.
»Also, na ja«, stammelte Frank, »ich bin, frank und frei heraus gesagt, ich bin da wohl anders.«
»Ich glaube, in dir steckt einfach eine andere Person, Susie«, sagte Lilly. »In dir steckt eine andere Person, und die will raus.«
»O Mann«, stöhnte Franny. »Vielleicht steckt ein Bär in ihr, und der will raus!«
»Vielleicht steckt ein Mann in ihr!« spekulierte Frank.
»Vielleicht steckt einfach eine nette Frau in dir, Susie«, sagte Lilly. Lilly, die Schriftstellerin, versuchte eben immer, die Helden in uns allen
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