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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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einer ganzen Serie - in New York«, sagte ich ihm. »In Kürze kontrollieren wir auch New York.«
    »Und morgen die ganze Welt?« fragte er mit diesem eiskalten Unterton in seiner Stimme.
    »Das kannst du alles Franny fragen«, sagte ich. »Ich werde ihr ausrichten, daß sie mit deinem Anruf rechnen kann.« Ich mußte von ihm weggehen, um ihm nichts anzutun, aber ich hörte, wie ihn seine Freundin fragte: »Wer ist Franny?«
    »Meine Schwester!« rief ich. »Ihr Freund hat sie vergewaltigt! Er und noch zwei Typen, in einem Bandenstich!« schrie ich. Weder Chipper Dove noch seine Freundin lachten diesmal, und ich ließ sie mitten auf der Seventh Avenue stehen. Hätte ich das Quietschen von Reifen und Bremsen gehört, oder selbst den dumpfen Aufprall von Körpern auf Metall oder Asphalt - ich hätte mich nicht umgedreht. Erst als ich erkannte, daß der Schmerz in meinen Schamteilen wirklich zu mir gehörte, wurde mir klar, daß ich zu weit gegangen war. Ich war am
    Haus Central Park South 222 vorbeigegangen - ich war bereits am Columbus Circle -, und ich mußte umkehren und Richtung Osten gehen. Als ich wieder an der Seventh Avenue war, sah ich, daß Chipper Dove und seine Freundin verschwunden waren. Einen Augenblick fragte ich mich sogar, ob ich sie nur erträumt hatte.
    Es wäre mir lieber gewesen, ich hätte sie nur erträumt, glaube ich. Ich fragte mich besorgt, wie Franny sich damit auseinandersetzen, damit »fertigwerden« würde, wie Susie dauernd sagte. Ich fragte mich besorgt, ob ich Franny gegenüber auch nur erwähnen sollte, daß ich Chipper Dove gesehen hatte. Was würde es beispielsweise für sie bedeuten, wenn Dove nie anrief? Es schien unfair - daß ich ausgerechnet an dem Abend, an dem Franny und ich unseren Triumph feierten, ihren Vergewaltiger treffen und ihm sagen mußte, wo meine Schwester wohnte. Ich wußte, das alles ging über meinen Horizont, das alles war eine Nummer zu groß für mich - ich stand wieder am Nullpunkt, ich hatte keine Ahnung, was Franny wollte. Ich wußte, ich brauchte den Rat eines Vergewaltigungsexperten.
    Frank schlief; er war ohnehin kein Vergewaltigungsexperte. Auch Vater schlief (in dem Zimmer, das ich mit ihm teilte), und ich sah die LouisvilleKeule neben dem Bett meines Vaters am Boden liegen und wußte, wie Vaters Rat in Sachen Vergewaltigung aussehen würde - ich wußte, daß jeglicher Ratschlag zu diesem Thema mit einem Keulenschlag verbunden sein würde. Als ich meine Laufschuhe auszog, weckte ich Vater.
    »Sorry«, flüsterte ich. »Schlaf nur weiter.«
    »Das war aber ein langer Lauf«, murmelte er. »Du mußt völlig erschöpft sein.«
    Das war ich natürlich, aber ich war auch hellwach. Ich ging aus dem Zimmer und setzte mich an den Schreibtisch mit Franks sechs Telefonen. Der Hausexperte für
    Vergewaltigungen (im zweiten Hotel New Hampshire) war nur einen Telefonanruf entfernt; die Beratung, die ich wollte, war mittlerweile in New York zu finden: Susie der Bär wohnte in Greenwich Village. Obwohl es ein Uhr nachts war, griff ich zum Telefon. Endlich war die alte Geschichte wieder hochgekommen. Es spielte keine Rolle, daß es fast schon Weihnachten 1964 war, denn für uns war wieder Halloween 1956. All die unbeantworteten Briefe Frannys verdienten endlich eine Antwort. Auch wenn Junior Jones' Schwarzer Arm des Gesetzes eines Tages der Stadt New York seine bewundernswerten Dienste anbieten sollte, mußte sich Junior jetzt erst noch vom Rowdysport Football erholen; danach sollte er drei Jahre Jura studieren und sechs weitere Jahre damit verbringen, den Schwarzen Arm des Gesetzes zu etablieren. Auch wenn Junior doch noch zu Frannys Retter wurde, konnte man sich darauf verlassen, daß er zu spät kam. Die Geschichte mit Chipper Dove war jetzt wieder hochgekommen; auch wenn Harold Swallow ihn nie gefunden hatte, war Dove jetzt aus seinem Versteck heraus. Und um fertigzuwerden mit Chipper Dove, brauchte Franny unbedingt die Hilfe eines schlauen Bären.
    Susie, der gute alte Bär, ist für sich allein schon ein Märchen.
    Als sie um ein Uhr morgens den Hörer abnahm, war sie wie ein Boxer, der von den Seilen zurückschnellt.
    »Du blöder Ficker! Du finsterer Fiesling! Weißt du eigentlich, wieviel Uhr es ist?« brüllte Susie der Bär.
    »Ich bin's« sagte ich.
    »Jessas Gott«, sagte Susie. »Ich habe einen obszönen Anruf erwartet.« Als ich ihr von Chipper Dove erzählte, fand sie, es sei doch ein obszöner Anruf. »Ich glaube, Franny wird nicht gerade glücklich

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