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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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darüber sein, daß du ihm gesagt hast, wo sie wohnt«, sagte Susie. »Ich glaube, sie hat diese ganzen Briefe nur geschrieben, um nie wieder von ihm zu hören.«
    Susie wohnte in einem einfach schrecklichen Loch in Greenwich Village. Franny ging gern dort runter, um sie zu besuchen, und Frank schaute gelegentlich bei ihr vorbei -wenn er in der Gegend war (es gab da gleich um die Ecke eine ganz auf Frank zugeschnittene Kneipe) -, aber Lilly und ich haßten das Village. Deshalb kam Susie manchmal auf einen Besuch zu uns.
    Im Village konnte Susie ein Bär sein, wenn ihr danach war; es gab dort unten Leute, die schlimmer aussahen als Bären. Aber wenn Susie zu uns heraufkam, mußte sie normal aussehen; als Bär hätten sie sie nicht ins Stanhope gelassen, und auf der Central Park South hätte sie irgendein Polizist erschossen - in der Annahme, sie sei aus dem Zoo im Central Park entwischt. New York war nicht Wien, und Susie versuchte zwar, sich ihre Bärenart abzugewöhnen, aber im Village konnte sie wieder in ihre Bärenhaut schlüpfen, ohne daß es auch nur einem Menschen auffiel. Sie lebte mit zwei anderen Frauen in einer Wohnung, in der es nur eine Toilette und ein Waschbecken mit kaltem Wasser gab. Susie kam zum Baden in die Stadt herauf -und dabei war ihr Lillys Suite im Stanhope lieber als das luxuriöse Bad in Franks Wohnung in der South Central Park 222; ich glaube, Susie mochte die immer vorhandene Gefahr, daß die Wasserspülung in die verkehrte Richtung losging.
    Sie versuchte sich in der Zeit als Schauspielerin. Die zwei Frauen, mit denen sie die schreckliche Wohnung teilte, waren beide Mitglieder im ›West Village Workshop‹ Es war ein Studio für Schauspieler, ein Ort, an dem Straßenclowns ausgebildet wurden. Frank meinte dazu, der Mäusekönig hätte - wenn er noch am Leben gewesen wäre - im West Village Workshop eine Anstellung auf Lebenszeit kriegen können. Aber ich dachte, wenn es in Wien so etwas wie den West Village Workshop gegeben hätte, wäre der Mäusekönig vielleicht immer noch am Leben. Es sollte einfach etwas geben, wo man Straßentänze, Tierimitationen und Pantomime ebenso erlernen kann wie das Einradfahren, die Urschrei-Therapie und Akte der Erniedrigung, die nur gespielt sind. Susie sagte, der West Village Workshop bringe ihr im wesentlichen bei, auch ohne das Bärenkostüm so selbstsicher zu sein wie ein Bär. Es war ein langwieriger Prozeß, wie sie zugab, und in der Zwischenzeit ließ sie - für alle Fälle - ihr Bärenkostüm bei einem Fachmann für Tierkostüme im Village auffrischen.
    »Jetzt solltest du das Kostüm mal sehen«, sagte mir Susie dauernd. »Ich meine, wenn du findest, daß ich bisher schon wie ein echter Bär ausgesehen habe ... Mann, da kann ich nur sagen, du hast überhaupt noch nichts gesehen!«
    »Es ist sehr bemerkenswert«, hatte Frank mir erzählt. »Die Schnauze wirkt sogar feucht, und die Augen sind ungeheuer. Und die Eckzähne«, sagte Frank, schon immer ein Bewunderer von Kostümen und Uniformen, »die Eckzähne sind phantastisch.«
    »Aber wir wollen doch alle, daß Susie über ihre Bärenrolle wegkommt«, sagte Franny.
    »Wir wollen, daß der Bär in ihr zum Vorschein kommt«, sagte dann Lilly, und wir grunzten alle miteinander und gaben andere widerliche Geräusche von uns.
    Aber als ich Susie erzählte, daß Franny und ich uns voreinander gerettet hatten - nur, um wieder mit Chipper Dove konfrontiert zu werden -, war Susie ganz bei der Sache; Susie war die unersetzliche Freundin, die sich wie ein Bär für dich einsetzt, sobald es ungemütlich wird.
    »Du bist in Franks Wohnung?« fragte Susie.
    »Ja«, sagte ich.
    »Bleib am Ball, Kleiner«, sagte Susie. »Ich komm gleich rauf. Warn schon mal den Türsteher.«
    »Soll ich ihn vor einem Bären oder vor dir warnen, Susie?« fragte ich sie.
    »Eines Tages, Schätzchen«, sagte Susie, »wird dich die überraschen, die ich wirklich bin.« Wie wahr: eines Tages sollte mich Susie tatsächlich überraschen. Doch bevor Susie zur Wohnung in der Central Park South 222 kam, rief mich Lilly auf einem von Franks sechs Telefonen an.
    »Was ist passiert?« sagte ich - es war mittlerweile fast zwei Uhr in der Nacht.
    »Chipper Dove«, flüsterte Lilly mit einer verängstigten kleinen Stimme. »Er hat hier angerufen! Er hat nach Franny gefragt!« Dieser Dreckskerl! dachte ich. Der rief doch tatsächlich ein Mädchen, das er vergewaltigt hatte, bei Nacht an, wenn sie schlief! Bestimmt wollte er sichergehen, daß

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