Das Hotel New Hampshire
Franny auch wirklich im Stanhope wohnte. Jetzt wußte er es also.
»Was hat Franny zu ihm gesagt?« fragte ich Lilly.
»Franny redete gar nicht mit ihm«, sagte Lilly. »Franny konnte nicht mit ihm reden. Ich meine, ihr Mund wollte einfach nicht funktionieren - sie brachte kein Wort heraus«, sagte Lilly. »Ich sagte ihm, Franny sei ausgegangen, und er sagte, er werde später noch einmal anrufen. Sieh zu, daß du rüberkommst«, sagte Lilly. »Franny hat Angst«, flüsterte Lilly. »Das hab ich bei Franny noch nie erlebt«, fügte Lilly hinzu. »Sie geht nicht mal mehr ins Bett zurück, sie blickt nur noch die ganze Zeit aus dem Fenster. Ich glaube, sie denkt, er wird sie nochmal vergewaltigen«, flüsterte Lilly.
Ich ging in Franks Zimmer und weckte ihn. Er setzte sich kerzengerade auf, warf die Decken zurück und schleuderte die Schneiderpuppe von sich. »Dove«, war alles, was ich ihm ins Ohr geflüstert hatte. »Chipper Dove« - mehr brauchte ich nicht zu sagen, und Frank wachte auf, als spiele er immer noch die Becken. Wir hinterließen Vater eine Nachricht, die wir in das Tonbandgerät neben seinem Bett sprachen. Wir sagten nur, daß wir zum Stanhope gehen würden.
Vater kam mit dem Telefon ganz gut zurecht; er zählte die Löcher in der Wählscheibe. Trotzdem wählte Vater oft die falsche Nummer, und das machte ihn so wütend, daß er die Leute am anderen Ende der Leitung jedesmal anschrie - als seien sie schuld, daß er die falsche Nummer gewählt hatte. »Jessas Gott!« polterte er dann. »Sie sind die falsche Nummer!« So schaffte es Vater auf seine bescheidene Art, zusammen mit seiner Louisville-Keule einen Teil von New York zu terrorisieren.
Frank und ich trafen Susie vor dem Haus Central Park South 222. Wir mußten bis zum Columbus Circle laufen, ehe wir ein Taxi auftrieben. Susie war nicht im Bärenfell. Sie trug alte Hosen und einen Pullover über einem Pullover über einem Pullover.
»Natürlich hat sie Angst«, sagte Susie zu Frank und mir, als wir zum Stanhope rasten. »Aber sie muß damit fertigwerden. Die Angst ist eine der ersten Phasen, meine Lieben. Wenn sie diese verfickte Angst überwinden kann, dann kommt die Wut. Und wenn sie erst mal wütend ist«, sagte Susie, »dann ist sie aus dem Gröbsten raus. Ihr braucht nur mich anzusehen«, erklärte sie, und Frank und ich sahen sie an und schwiegen. Die Sache war uns über den Kopf gewachsen, und wir wußten es.
Franny saß in eine Decke gehüllt auf ihrem Stuhl, den sie vor die Heizungsklappe gerückt hatte; sie blickte unverwandt aus dem Fenster. Das Metropolitan Museum stand in der vorweihnachtlichen Kälte wie ein Schloß, das von seinem König und seiner Königin verlassen worden war - es wirkte so ausgestorben, als laste ein Fluch auf ihm;
selbst die bäuerlichen Untertanen blieben ihm fern.
»Wie könnte ich jetzt noch ausgehen?«, sagte Franny flüsternd zu mir. »Er könnte überall sein da draußen«, sagte sie. »Ich traue mich nicht mehr hinaus«, wiederholte sie.
»Franny, Franny«, sagte ich, »er wird dich nicht mehr anrühren.«
» Erzähl ihr nichts«, sagte Susie zu mir. »Das hilft nicht weiter. Erzähl ihr nichts - stell ihr lieber Fragen. Frag sie, was sie tun will.«
»Was willst du tun, Franny?« fragte Lilly.
»Wir tun alles, was du willst, Franny«, sagte Frank.
»Überleg mal, was du willst, was nach deinen Vorstellungen passieren soll«, sagte Susie der Bär zu Franny.
Franny schauderte, ihre Zähne klapperten. Es war zum Ersticken in der Suite, aber Franny war starr vor Kälte.
»Ich will ihn umbringen«, sagte Franny leise.
»Sag jetzt nichts«, flüsterte mir Susie der Bär ins Ohr. Ich hätte sowieso nichts sagen können. Wir saßen vielleicht eine Stunde lang in dem Zimmer, und Franny blickte die ganze Zeit aus dem Fenster. Susie massierte ihr den Rücken, um sie zu wärmen. Franny wollte mir etwas zuflüstern, und ich beugte mich zu ihr vor. »Bist du immer noch wund?« flüsterte sie. Auf ihrem Gesicht lag ein feines Lächeln, und ich lächelte zurück und nickte. »Ich auch«, sagte sie und lächelte; aber dann blickte sie auch schon wieder aus dem Fenster, und sie sagte: »Ich wollte, ich wäre tot.« Nach einer Weile wiederholte sie: »Ich kann einfach nicht mehr ausgehen, ich kann auch hier essen - aber einer von euch muß immer bei mir sein.« Das versprachen wir ihr. »Ihn umbringen«, wiederholte sie, und über dem Park begann es hell zu werden. »Er könnte überall sein da draußen«,
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