Das Hotel New Hampshire
keiner der alten Träume. Ich meine, eure Mutter kam darin nicht vor. Wir waren nicht wieder jung oder so.«
»Kein Mann in einer weißen Smokingjacke, Daddy?« fragte Lilly.
»Nein, nein«, sagte Vater. »Ich war alt. In dem Traum war ich sogar älter, als ich in Wirklichkeit bin«, sagte er; er war fünfundvierzig. »In dem Traum«, sagte Vater, »ging ich mit Sacher einfach am Ufer spazieren; wir bummelten einfach durch die Anlagen - rings um das Hotel«, sagte er.
»Rings um die Ruinen, meinst du«, sagte Franny.
»Nun ja«, sagte Vater listig, »ich konnte natürlich nicht direkt sehen, ob das Arbuthnot noch eine Ruine war, aber ich hatte so ein Gefühl, als sei es wiederhergestellt - ich hatte das Gefühl, alles sei wieder gerichtet«, sagte Vater und schob Bissen um Bissen von seinem Teller in seinen Schoß - und in Sacher. »Es war ein nagelneues Hotel«, sagte Vater schelmisch.
»Und ich wette, du warst der Besitzer«, sagte Lilly zu ihm. »Du hast doch gesagt, ich kann absolut alles tun, nicht wahr, Frank?« fragte Vater.
»In dem Traum warst du der Besitzer des Arbuthnot-by-the-Sea?« fragte ihn Frank. »Und alles war wieder gerichtet?«
»Es herrschte der normale Betrieb, Pop?« fragte ihn Franny.
»Der normale Betrieb«, sagte Vater und nickte; Sacher nickte ebenfalls.
»Ist es das, was du tun willst?« fragte ich Vater. »Du wärst gern der Besitzer des Arbuthnot-by-the-Sea?«
»Na ja«, sagte Vater. »Wir müßten ihm natürlich einen anderen Namen geben.«
»Natürlich«, sagte Franny.
»Das dritte Hotel New Hampshire!« schrie Frank. »Lilly!« rief er. »Stell dir das nur mal vor! Noch eine Fernsehserie!«
»Ich habe mit der ersten Serie noch gar nicht richtig angefangen«, sagte Lilly besorgt.
Franny kniete sich neben Vater; sie legte ihm eine Hand aufs Knie; Sacher leckte Frannys Finger ab. »Du willst es noch einmal tun?« fragte Franny Vater. »Du willst noch einmal von vorne anfangen? Dir ist doch klar, daß du es nicht tun mußt.«
»Aber was sollte ich denn sonst tun, Franny?«, fragte er sie lächelnd. »Es ist das letzte - das verspreche ich euch«, sagte er zu uns allen. »Wenn es mir nicht gelingt, aus dem Arbuthnot-by-the-Sea etwas Besonderes zu machen, werfe ich das Handtuch.«
Franny warf Frank einen Blick zu und zuckte mit den Achseln; auch ich zuckte mit den Achseln, und Lilly verdrehte nur die Augen. Frank sagte: »Na ja, es dürfte nicht allzu schwer sein, herauszubringen, was es kostet und wem es gehört.«
»Ich will ihn nicht sehen - falls es immer noch ihm gehört«, sagte Vater. »Ich will den Dreckskerl nicht sehen.« Vater wies uns immer auf Dinge hin, die er nicht sehen wollte, und wir waren gewöhnlich beherrscht genug, ihn nicht darauf hinzuweisen, daß er sowieso nichts sehen konnte.
Franny sagte, sie wolle den Mann in der weißen Smokingjacke auch nicht sehen, und Lilly sagte, sie sehe ihn die ganze Zeit - in ihrem Schlaf; Lilly sagte, sie sei es leid, ihn zu sehen.
Schließlich waren es Frank und ich, die einen Wagen mieteten und die lange Fahrt nach Maine antraten; Frank brachte mir unterwegs das Autofahren bei. Wir bekamen wieder die Ruinen des Arbuthnot-by-the-Sea zu sehen. Wir stellten fest, daß sich Ruinen nicht wesentlich verändern: die Möglichkeiten der Veränderung, die in einer Ruine stecken, haben sich gewöhnlich schon erschöpft - in dem langen Prozeß der Veränderung, mit dem die Ruine erst zur Ruine geworden ist. Wenn eine Ruine erst einmal zur Ruine geworden ist, verändert sie sich kaum mehr. Es gab zwar Spuren von neuen Vandalen, aber es war wohl nicht sehr reizvoll, sich an einer Ruine auszutoben, und so erschien uns die ganze Anlage fast genau so wie damals im Herbst 1946, als wir alle zum Arbuthnot-by-the-Sea gekommen waren, um Earl sterben zu sehen.
Wir hatten keine Mühe, den Pier zu finden, an dem der alte State o' Maine erschossen wurde, obwohl dieser Pier - ebenso wie die umliegenden Piere - neu gebaut worden war und obwohl viele neue Boote im Wasser lagen. Das Arbuthnot-by-the-Sea sah aus wie eine kleine Geisterstadt, aber was einst ein putziges, von Fischern und Hummerfängern bevölkertes Dorf - in unmittelbarer Nähe des Hotels - gewesen war, war nun ein schäbiges kleines Touristenstädtchen. Es gab eine kleine Hafenanlage, wo man Boote mieten und Köderwürmer kaufen konnte, und es gab einen felsigen öffentlichen Strand in Sichtweite des Privatstrandes, der zum Arbuthnot-by-the-Sea gehörte. Da sich keiner mehr
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