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Das Hotel New Hampshire

Das Hotel New Hampshire

Titel: Das Hotel New Hampshire Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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feststellen können.«
    »Vielleicht sterbe ich bald«, sagte er, »aber das heißt noch lange nicht, daß ich den Juden das Feld überlasse.«
    »Mein Vater«, erklärte ich Arbuthnot, »war eng mit Freud befreundet.«
    »Nicht mit dem Freud«, sagte Frank zu Arbuthnot, aber der alte Mann hatte wieder angefangen zu husten und hörte nicht, was Frank zu sagen hatte.
    »Freud?« sagte Arbuthnot, übel hustend und spuckend. »Ich habe auch mal einen Freud gekannt! Einen jüdischen Dompteur. Die Juden können aber mit Tieren nicht umgehen«, vertraute er uns an. »Tiere haben nämlich ein gutes Gespür«, sagte er. »Die merken gleich, wenn einer ein bißchen komisch ist«, sagte er. »Der Freud, den ich kannte, das war ein dummer jüdischer Dompteur. Er hat versucht, einen Bären zu dressieren, aber der Bär hat ihn aufgefressen!« Arbuthnot jaulte vor Vergnügen - was den nächsten Hustenanfall auslöste.
    »Eine Art antisemitischer Bär?« fragte Frank, und Arbuthnot lachte so fürchterlich, daß ich schon glaubte, der darauf folgende Hustenanfall würde ihn umbringen.
    »Ich wollte ihn umbringen«, sagte Frank später.
    »Sie müssen verrückt sein, wenn Sie das alte Hotel kaufen wollen«, sagte Arbuthnot zu uns. »Oder wissen Sie vielleicht nicht, wo Maine liegt? Einfach nirgendwo! Es gibt dort keine anständigen Bahnverbindungen, und es gibt keine anständigen Flugverbindungen. Die Autofahrt dorthin ist fürchterlich - es ist zu weit von New York und von Boston weg -, und wenn man doch mal hinkommt, ist das Wasser zu kalt, und in einer Stunde haben einen die Insekten zu Tode gestochen. Es kommen auch keine Segler mehr hin, die wirklich Format haben - ich meine die Segler mit Geld«, sagte er. »Wenn man ein bißchen Geld hat, gibt es in Maine absolut nichts, wofür man es ausgeben könnte! Die haben dort nicht mal Huren.«
    »Uns gefällt es trotzdem«, sagte ihm Frank.
    »Es sind keine Juden, oder?« fragte Arbuthnot seinen Anwalt.
    »Nein«, sagte der Anwalt.
    »Es ist schwer zu sagen, nur vom Aussehen«, sagte Arbuthnot. »Früher konnte ich einen Juden auf Anhieb erkennen«, erklärte er uns. »Aber jetzt sterbe ich bald«, fügte er hinzu.
    »Ein Jammer«, sagte Frank.
    »Freud ist nicht von einem Bären aufgefressen worden«, sagte ich zu Arbuthnot.
    »Der Freud, den ich kannte, ist von einem Bären aufgefressen worden«, sagte Arbuthnot.
    »Nein«, sagte Frank, »der Freud, den Sie kannten, war ein Held.«
    »Doch nicht der Freud, den ich kannte«, stritt der alte Arbuthnot verdrießlich weiter. Seine Pflegerin fing etwas Speichel auf, der von seinem Kinn tropfte, und wischte ihm so geistesabwesend das Gesicht ab, wie sie sonst vielleicht einen Tisch abstaubte.
    »Der Freud, den wir beide kennen«, sagte ich, »hat die Wiener Staatsoper gerettet.«
    »Wien!« schrie Arbuthnot. »Wien ist voller Juden!« brüllte er.
    »In Maine gibt's heute auch mehr davon als früher«, reizte ihn Frank.
    »In L.A. auch«, sagte ich.
    »Ich sterbe sowieso«, sagte Arbuthnot. »Gott sei Dank.« Er unterschrieb die Papiere auf seiner Brust, und der Anwalt händigte sie uns aus. Auf diese Weise kaufte also Frank 1965 das Arbuthnot-by-the-Sea und zehn Hektar Land an der Küste Maines. »Für ein Butterbrot«, wie Franny später sagte.
    Ein fast himmelblaues Muttermal sproß im Gesicht des alten Arbuthnot, und beide Ohren leuchteten grell violett, da sie mit Gentianaviolett, einem altmodischen Mittel gegen Pilze, bestrichen waren. Es war, als fresse ein gewaltiger Pilz Arbuthnot von innen her auf. »Einen Augenblick noch«, sagte er, als wir schon im Gehen waren - und seine Brust schickte ein wäßriges Echo hinterher. Seine Pflegerin schüttelte ihm wieder die Kissen zurecht; sein Anwalt ließ eine Aktentasche zuschnappen; bei der Kälte aus all den summenden Klimageräten wirkte der Raum auf Frank und mich wie eine Gruft - wie die Kaisergruft für die herzlosen Habsburger in Wien. »Was haben Sie eigentlich für Pläne?« fragte Arbuthnot. »Was zum Teufel wollen Sie mit dem Gebäude anfangen?«
    »Es gibt ein Ausbildungslager für Sonderkommandos«, erklärte Frank dem alten Arbuthnot. »Für die israelischen Streitkräfte«, fügte er hinzu.
    Ich sah, daß Arbuthnots Anwalt grinste; es war ein ganz besonderes Grinsen, das Frank und mich später auf den Papieren, die uns ausgehändigt worden waren, nach dem Namen des Anwalts sehen ließ. Der Name des Anwalts war Irving Rosenman, und wenn er auch aus Los Angeles kam, waren

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