Das Hotel New Hampshire
ungefähr siebzig Kilo schwere Hantel mit gestreckten Armen genau über dem Kopf. Beim alten Bob war der Hals so dick wie bei mir der Oberschenkel.
»Guten Morgen«, flüsterte ich, und er verdrehte die Augen nach mir, und die Hantel kippte, und er hatte die kleinen Dinger, die die Gewichte sichern, nicht richtig festgeschraubt, so daß ein paar der Gewichte erst von dem einen und dann von dem anderen Ende herunterrollten, und Coach Bob machte die Augen zu und zuckte zusammen, als die Hantelscheiben links und rechts von seinem Kopf herunterfielen und in alle Richtungen davonrollten. Ich hielt ein paar von ihnen mit meinen Füßen auf, aber eine rollte gegen die Schranktür, und die ging natürlich auf, und heraus kamen verschiedene Dinge: ein Besen, ein Sweatshirt, Bobs Rennschuhe und ein Tennisschläger, um dessen Griff er sein Schweißband gewickelt hatte.
»Jessas Gott«, sagte Vater unten in unserer Küche.
»Guten Morgen«, sagte Bob zu mir.
»Findest du Ronda Ray attraktiv?« fragte ich ihn.
»Mannomann«, sagte Coach Bob.
»Nein, wirklich«, sagte ich.
»Wirklich?« sagte er. »Frag lieber deinen Vater. Ich bin zu alt. Ich habe aufgehört, den Mädchen nachzuschauen, als ich, das letztemal, das Nasenbein brach.«
Mir war klar, daß das in seiner aktiven Footballerzeit in Iowa gewesen sein mußte, denn die Nase des alten Bob wies so manchen Knick auf. Dazu kam, daß er seine falschen Zähne immer erst zum Frühstück rein machte, so daß sein Kopf frühmorgens erstaunlich kahl wirkte - wie der eines seltsamen federlosen Vogels, und sein leerer Mund klaffte wie die untere Hälfte eines Schnabels unter seiner gebogenen Nase. Iowa-Bob hatte den Kopf eines Wasserspeiers auf dem Körper eines Löwen.
»Also, findest du sie hübsch?« fragte ich ihn.
»Das hab ich mir noch nie überlegt«, sagte er.
»Dann überleg's dir jetzt!« sagte ich.
»Nicht direkt ›hübsch‹«, sagte Iowa-Bob. »Aber irgendwie anziehend.«
»Anziehend?« fragte ich.
»Sexy!« sagte eine Stimme aus Bobs Sprechanlage - Frannys Stimme natürlich; sie hatte die Quatschkisten abgehört, wie üblich.
»Verdammte Gören«, sagte Iowa-Bob.
»Verdammt nochmal, Franny!« sagte ich.
»Du müßtest mich mal fragen«, sagte Franny.
»Mannomann«, sagte Iowa-Bob.
Daraufhin erzählte ich dann auch Franny die Geschichte von Ronda Rays offensichtlichem Angebot im Treppenhaus, von ihrem Interesse an meinem heftigen Schnaufen und meinem klopfenden Herzen - und dem Plan für einen Regentag.
»Na und? Tu's doch«, sagte Franny. »Und warum erst auf einen Regentag warten?«
»Glaubst du, daß sie eine Hure ist?« fragte ich Franny.
»Du meinst, ob ich glaube, daß sie Geld dafür verlangt?« sagte Franny.
Der Gedanke war mir nie gekommen - denn mit dem Wort ›Hure‹ ging man an der Dairy School reichlich großzügig um.
»Geld?« sagte ich. »Wieviel wird sie denn verlangen?«
»Ich weiß ja nicht, ob sie Geld verlangt«, sagte Franny, »aber wenn ich du wäre, würde ich das rauszukriegen versuchen.« An der Sprechanlage schalteten wir Rondas Zimmer ein und hörten ihr beim Atmen zu. Es war ihr »Ich-bin-wach-liege-aber-nur-da-und-atme«-Geräusch. Wir hörten ihr lange zu, als könnten wir so ihren Preis ausmachen. Franny zuckte schließlich mit den Achseln.
»Ich geh jetzt baden«, sagte sie, und sie drehte an der Nummernscheibe, und die Anlage horchte in die leeren Zimmer hinein, 1 A, kein Ton; 2 A, nichts; 3 A, gar nichts; 3 B, Max Urick und sein Rauschen. Franny wandte sich vom Schaltkasten ab, um raufzugehen und sich ein Bad einlaufen zu lassen, und ich drehte noch einmal an der Nummernscheibe: 1 C, 2 C, 3 C, dann rasch zu 1 E, 2 E ... und da war es ... und weiter zu 3 E, wo nichts war.
»Moment mal«, sagte ich.
»Was war denn das?« sagte Franny.
»Zwei E, glaube ich«, sagte ich.
»Versuch's nochmal«, sagte sie. Es war auf dem Stockwerk über Ronda Ray, doch am anderen Ende des Ganges, gegenüber von Iowa-Bob, der nicht da war.
»Mach schon«, sagte Franny. Wir fürchteten uns. Wir hatten keine Gäste im Hotel New Hampshire, aber aus 2 E war ein ungeheuerliches Geräusch gekommen.
Es war Sonntagnachmittag. Frank war im Biologie-Labor und Egg und Lilly waren in der Nachmittagsvorstellung im Kino. Ronda Ray saß einfach da in ihrem Zimmer, und Iowa-Bob war ausgegangen. Mrs. Urick war in der Küche, und Max Urick hatte hinter dem Rauschen sein Radio laufen.
Ich schaltete auf 2 E, und Franny und ich hörten es
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