Das Hotel
schmierigem Fell und gummiartigen Schwänzen bedeckt. Sie krochen unter ihr T-Shirt, verfingen sich in ihren Haaren, und Letti schloss den Mund und die Augen ganz fest und bewegte keinen Muskel in ihrem Körper, obwohl sie am liebsten wild um sich geschlagen hätte.
Bloß nicht angreifen, dann beißen sie nicht.
Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, aber die Ratten ließen irgendwann von ihr ab und setzten ihren Weg fort. Bis auf eine, die noch immer in ihren Haaren steckte. Letti biss sich auf die Unterlippe und packte sie am Nacken, zog sie vorsichtig heraus und warf sie dann in die Dunkelheit.
Plötzlich leuchtete das Display vom Handy wieder auf, und Mal kniete sich neben sie.
» Ach du Scheiße …«
» Ich bin auf etwas getreten. Mein Fuß!«, stöhnte Letti.
Er richtete das schimmernde Display auf ihre Beine, und Letti sah, was ihr Schmerzen bereitete.
Eine Skeletthand. Einer der Finger steckt in meinem Fuß.
» Das haben wir gleich«, sagte Deb und zog ohne Vorwarnung den Knochen aus Lettis Fleisch.
Ihr Blut floss wie gegossener Wein.
» Schaffen Sie es?«, erkundigte sich Deb und schaute sich um.
» Habe ich eine Alternative?«
» Mal, komm doch bitte mal her, ich brauche Licht.«
Mal gesellte sich zu Deb und beleuchtete die Wand von Koffern mit dem Handydisplay.
Aber jetzt waren es keine Koffer mehr.
Es waren Leichen. Vom Boden bis zur Decke gestapelt, eine Wand verwesenden Fleischs.
Letti bog ihre Zehen und zuckte zusammen. Es fühlte sich an, als ob noch immer etwas in ihrem Fuß steckte, und der Gedanke, dass sich ein Fingernagel oder ein Stück Knochen in ihr befand, war schlimmer, als von Tausenden von Ratten überrannt zu werden.
Wie merkwürdig, dass die Viecher einfach so davongerannt sind. Beinahe, als ob sie flüchteten.
Deb entdeckte eine in einen verfaulenden Anzug gekleidete Leiche und begann, ihr die Schuhe auszuziehen. Als sie versuchte, einen Schuh abzustreifen, löste sie den ganzen Fuß.
Letti war Deb für ihre Mühe dankbar, doch das war eklig.
Deb schaffte es, den Fuß zu entfernen und warf den Schuh samt einer löchrigen Socke Letti zu.
Letti verband sich die Wunde mit der Socke, und der alte Lederschuh war groß genug für den Verband. Als sie ihn zuschnüren wollte, rissen die Schnürsenkel. Vorsichtig band sie den Knoten weiter unten, ehe Deb ihr den zweiten Stiefel zuwarf.
» Los«, drängte Deb.
Sie und Mal halfen Letti wieder auf die Beine. Beim ersten Schritt wollte sie laut aufheulen. Das war schlimmer als eine Entbindung. Letti wollte ihnen schon sagen, dass sie allein vorangehen sollten, erinnerte sich dann jedoch an Kelly und schluckte den Schmerz herunter.
» Da ist ein Tor«, sagte Mal. » Direkt vor uns.«
Letti humpelte weiter. Ein Tor hieß, dass Kelly es nach draußen geschafft hatte. Vielleicht befand sie sich in der Nähe. Vielleicht war sie …
» Oh, Scheiße.«
Das scheint Mals Lieblingsspruch zu sein.
» Was ist …?«
» Pssst!«, zischte Mal. » Wir müssen zurück, und zwar schnell.«
Letti schüttelte den Kopf. Nie im Leben würde sie freiwillig dieses Haus wieder betreten. Sie wollte ihre Tochter finden. Sie drängte sich an Mal vorbei, öffnete das gusseiserne Tor und atmete die frische Luft ein.
Dann sah sie ihn.
Ein Berglöwe.
Er war groß, und Letti sah seinen blutverschmierten Schädel im Mondlicht.
Darum sind die Ratten geflüchtet.
Letti trat zurück, doch das Tier hatte sie bereits bemerkt. Es kauerte auf allen vieren und schlich langsam zu ihr hin. Letti versuchte, das Tor zu schließen, aber es besaß kein Schloss. Die Raubkatze würde einen nach dem anderen auffressen.
» Halten Sie das«, meinte Mal, reichte ihr sein Handy und drängte sich an ihr vorbei, ehe er sich die Plastiktasche an seinem Gürtel schnappte.
Die Plastiktasche mit seiner abgetrennten Hand.
» Hier, Miez, Miez, Miez«, sagte Mal. » Ich hab was für dich.«
Dann warf er die Tasche so weit wie möglich in den Wald hinein.
Entgegen aller Erwartungen sprang das Tier hinterher und verschwand im Dickicht.
» Tja«, spottete Mal. » Schon recht handlich, so eine Hand.«
Die drei rannten um ihr Leben in die gegenüberliegende Richtung und verschwanden im Dickicht, wichen Bäumen, Felsen und Büschen aus. Jeder Schritt war die reinste Qual für Letti, und die Schmerzen zusammen mit den Sorgen um Kelly schienen fast unerträglich.
Der Berglöwe hatte Blut im Gesicht. Woher kam das? Etwa von meiner kleinen Tochter?
Sie rannten, bis Deb stolperte
Weitere Kostenlose Bücher