Das Hotel
Tyler war mit unserem zehnten Präsidenten John Tyler verheiratet. Keine sehr dynamische First Lady und am Ende ihrer Tage sogar ein Krüppel. Aber sie gebar acht Kinder, von denen sieben überlebten. Wie viele Kinder haben Sie?«
» Nur Kelly.«
Eleanor fächerte sich mit dem Taschentuch Luft zu, eine elegante Bewegung, die so gar nicht zu ihrem massiven Körper passte. » Nur ein Kind? Das ist aber schade. Gott hat uns aufgetragen, fruchtbar zu sein und uns zu vermehren. Wussten Sie, dass es im achtzehnten Jahrhundert eine Frau gab, die neunundsechzig Kindern das Leben schenkte? Sie hatte sechzehn Zwillinge, sieben Drillinge und vier Vierlinge. Wie selig ihre Familie gewesen sein muss.«
» Ein Wunder, dass die Gebärmutter nicht Hals über Kopf geflüchtet ist«, spottete Letti.
Eleanor wandte sich an Florence. » Wie schade, dass wir zu alt sind, um noch Kinder zu bekommen, nicht wahr, Florence? Es wäre doch herrlich, noch ein paar weitere zu haben.«
» Ich habe nur eines gebraucht, das ist gleich perfekt geworden«, entgegnete Florence und bemerkte aus dem Augenwinkel, dass ihre Tochter lächelte.
Eleanor nahm sich nun Kelly vor.
» Aber diese junge Dame hier. Sie wird sicher viele Kinder bekommen. Die Brüste entwickeln sich gerade erst. Ich kann sie mir schon voller Muttermilch vorstellen, wie sie ihre vielen Kleinen stillt.«
» Igitt!«, sagte Kelly. » Wenn ich mal Kinder haben sollte, dann kommt die Milch aus der Tüte.«
Florence gefiel es nicht, wie die Fremde mit ihrer Enkelin umging. Auch Letti sagte es offenbar nicht zu, denn sie legte einen schützenden Arm um Kellys Schultern. Aber Eleanor schien das nicht wahrzunehmen, sondern ging noch weiter auf das Mädchen zu.
» Und wie heißt du, Kleine?«
» Ich bin Kelly. Und das hier ist JD .«
JD starrte Eleanor an, als ob sie ein Hase wäre, den er sich schnappen müsste.
» Und wofür stehen die Buchstaben?«
» Jack Daniels. Mom hat ihn so genannt. Wir haben ihn bekommen, als Dad starb.«
» Er scheint gut auf dich aufzupassen. Wie alt ist er?«
» Elf.«
» Unser fünfunddreißigster Präsident, John F. Kennedy, hatte einen Schäferhund namens Clipper. Ein stolzes Tier.« Eleanor steckte ihr Taschentuch wieder ein und schnalzte mehrmals mit der Zunge. » Schade, dass JD am Ende seines Lebens steht. Schäferhunde werden selten älter als elf.«
Kellys Augen weiteten sich entsetzt.
» Wir sind Ihnen für die kostenlosen Zimmer sehr dankbar«, fuhr Letti dazwischen und stellte sich zwischen Kelly und Eleanor. Florence merkte, dass sie sich zu einem Lächeln zwingen musste. » Aber wir sind jetzt sehr müde. Könnten Sie uns zeigen, wo wir schlafen?«
Eleanor sog rasch die Luft durch die Nase, als ob sie etwas riechen würde, das ihr nicht behagte. » Aber selbstverständlich. Bitte folgen Sie mir.«
Die große Frau ging am Aufenthaltszimmer vorbei in Richtung Treppe. Florence und Letti mussten sich beeilen, um mit ihren großen Taschen hinterherzukommen. Wie bereits die Wände war auch das Treppenhaus mit unbehandeltem Holz verkleidet, lediglich das Geländer war aus Metall. Zwischen den Treppenläufen war eine Lücke, sodass man bis zum Dach hinaufschauen konnte. Aus jeder erdenklichen Ecke starrten ihnen Präsidenten entgegen, darunter auch ein großes Poster von Mount Rushmore. Als sie im ersten Stock ankamen, blieb Eleanor vor einer verschlossenen Tür stehen und trat mehrmals ungeduldig mit einem Fuß auf den Boden. Ihre Stiefel waren so alt wie ihr Kleid und aus schwarzem Leder, mit Häkchen für die Schnürsenkel.
» Das hier ist das Abraham-Lincoln-Zimmer. Es ist perfekt für Kelly. Für Sie beide habe ich etwas im zweiten Stock.« Sie reichte Kelly einen Schlüssel und machte sich wieder zur Treppe auf.
Letti machte den Mund noch vor Florence auf. » Wir möchten möglichst alle im selben Stockwerk schlafen«, rief sie Eleanor hinterher.
Eleanor drehte sich um und bedachte sie mit einem freudlosen Lächeln. » Das ist leider unmöglich. Ich habe die anderen Zimmer nicht hergerichtet.«
» Ich nehme das hier«, entschied Florence.
Kelly hatte den Schlüssel bereits umgedreht und die Tür geöffnet. Das Licht war angeschaltet und erwartungsgemäß Abraham Lincoln das den Raum dominierende Motiv.
» Das Zimmer ist voll cool! Ich habe eine Schularbeit über Lincoln geschrieben. Weißt du noch, Mom?«
» Mir wäre es lieber, wenn du entweder neben mir oder Grandma schlafen würdest.«
» Ach, bitte. Das ist doch kein
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