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Das Hotel

Das Hotel

Titel: Das Hotel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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ganzen Weg aus Illinois, stimmt’s? Lincolns Land. Folgen Sie mir doch bitte.«
    Eleanor stiefelte mit großen Schritten davon. Florence warf Letti einen Blick zu, die jetzt grinste. Ihre Tochter fand Eleanor wohl ganz witzig. Florence sah das entschieden anders. Irgendetwas stimmte nicht mit der Frau. Etwas, das nichts mit bloßer Exzentrik zu tun hatte.
    Sie holten ihre Sachen aus dem Kofferraum. Doch trotz Eleanors Versprechen, ihnen zu helfen, war sie wie vom Erdboden verschwunden. Florence nahm ihren Rucksack und den von Kelly und starrte in den Wald hinüber. Obwohl sich die Vegetation und der Geruch von Vietnam unterschieden, war die Atmosphäre doch die Gleiche: unheimlich. Es herrschte große Stille. Totenstille. Dazu die Dunkelheit, die bis in die Poren einzudringen schien. Ihr ganzes Leben lang war Florence gereist. Sie hatte lange Zeit Missionsarbeit geleistet, aber trotzdem fühlte sie sich nicht wohl in der Wildnis. Sie hatte zu viele Gräueltaten miterlebt und gesehen, was Menschen ihren Mitmenschen Unsägliches antun konnten. Immerhin war das ein Risiko, auf das man sich einstellen konnte. Die Wälder jedoch flüsterten in einer anderen Sprache, einer unheimlichen, fremden Sprache. Sie erzählten von unsichtbaren Kreaturen, die einen fressen wollten.
    Letti und Florence schleppten ihre Ausrüstung zum Hotel, Kelly folgte ihnen mit JD dicht auf den Fersen. Eleanor wartete auf der Veranda auf sie, lächelte sie furchterregend an und hielt die Tür auf. Das Hotel war gänzlich aus Holz und bestand aus zwei Stockwerken. Die hölzernen Fensterläden waren bereits geschlossen, und das Dach verschwand im Schwarz der Nacht. Es brannte keine einzige Außenlampe.
    » Willkommen im Rushmore Inn«, sagte Eleanor erneut. Es schien, als ob sich die Frau des Öfteren wiederholte.
    Als sie eintraten, wurde Florences unheimliches Gefühl nicht nur bekräftigt, sondern verstärkt. Das schummrige Licht von einigen wenigen schwachen Glühlampen erhellte einen Raum, der wie ein Zwischending aus Museum und Trödelladen wirkte. Überall gab es Präsidenten-Memorabilien. Sie hingen ohne erkennbaren Plan oder Muster an den Wänden oder klebten auf Möbeln. Gemälde, Poster, Zeitungsartikel, Fotos, Wahlplakate und Buttons. Aber anstatt eine Atmosphäre der Gemütlichkeit zu vermitteln, erwiesen sie sich als erdrückend. Florence suchte nach etwas, das nicht das Abbild oder den Namen eines Präsidenten trug. Da entdeckte sie einen schlichten weißen Aschenbecher. Neugierig beugte sie sich vor und untersuchte ihn genauer, nur um auch hier von den grinsenden Gesichtern Richard und Pat Nixons begrüßt zu werden.
    » Das hat nichts mehr mit schrullig zu tun, das ist fetischistisch«, flüsterte sie Letti zu.
    » Von wegen Fetisch – das gleicht eher einer voll ausgebrochenen Psychose.«
    Florence bemerkte einen seltsamen Geruch. Neben dem schweren Duft von Räucherstäbchen erkannte sie das Aroma alten Schweißes. Und da war noch etwas – etwas Faules. Wie Nelken, die zu lange in der Vase gestanden hatten.
    » Wie ich sehe, bewundern Sie unser Innendekor«, bemerkte Eleanor und machte eine ausladende Geste.
    » Ja, sehr präsidial«, erwiderte Letti und tat sich schwer, ein Grinsen zu unterdrücken.
    » In der Tat«, entgegnete Eleanor und setzte eine betont würdevolle Miene auf. » Präsidenten sind die wichtigsten Menschen auf der Welt. Sie sind wie Könige. Denn was kann wichtiger sein als ein Land zu regieren? So viel Macht. Und diese Verantwortung. Als Amerikaner sollten wir stolz auf unsere Präsidenten sein und sie verehren, denn sie sind so viel besser als wir.«
    » Hat Jefferson nicht gesagt, dass alle Menschen gleich sind?«, fragte Florence.
    » Präsidenten sind weit mehr als normale Männer. Sie sind geboren, um zu führen. Wussten Sie, dass dreiundvierzig Präsidenten von königlicher Abstammung sind? Vierunddreißig von ihnen sind direkte genetische Nachfahren von Karl dem Großen, und weitere neunzehn lassen sich auf Eduard III . von England zurückführen.«
    Eleanor zog ein Taschentuch aus dem Ärmel ihres langärmligen Kleids hervor und tupfte sich den Schweiß vom Nacken.
    » Wenn man nur weit genug zurückgeht, ist jeder mit jedem verwandt«, sagte Letti.
    » Selbstverständlich. Mit Adam und Eva. Aber nur in wenigen ihrer Nachfahren fließt königliches Blut, sodass sie fähig waren, ganze Nationen anzuführen. Ist Letti etwa eine Kurzform von Leticia?«
    » Von Loretta.«
    » Ach, wie schade. Leticia

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