Das Hungerjahr - Roman
Kleinen und singt, Ta-ta-Tabak-Ulla. Ulla ist die alte Bäuerin von Lehto, die im Sommer auf der Treppe sitzt und Pfeife raucht wie die Männer, und wenn Mataleena mit dem Vater auf den Lehto-Hof kommt, wundert sie sich, weil schon wieder Zeit fürs Tagwerk ist, und der Vater setzt sich neben die alte Bäuerin und betrachtet mit ihr die Wolken, wie sie über den Himmel wandern. »Himmelsschafe sind das«, sagt die alte Bäuerin und erlaubt Mataleena, Zucker aus der Küche zu holen.
Aber die Mutter sagt, im Lied heiße es Trulla.
Das Pferd heißt Voima. Es zog den Wagen, als der Sarg der alten Bäuerin zur Kirche gefahren wurde. Mataleena und ihre Mutter sahen damals zu, wie sie vom Hof fuhren, die Mutter hielt Juho auf dem Arm. Den Wagen lenkte der Vater, Lehto saß daneben und weinte, aber Mataleena dachte an die Himmelsschafe und stellte sich vor, wie die alte Bäuerin sie von einem Felsen, so groß wie ein Berg, aus hütete und Pfeife rauchte.
Mataleena schaut zum Himmel. Er ist fahlgrau, Schafe sieht man nicht. Voima bleibt an der Kreuzung stehen. Die Straße ist als Senke in der Schneefläche zu erkennen. Die Zaunspitzen stechen hervor wie kleine scharfe Zähne.
Lehto schaut über die Schulter hinweg auf Marja, die den Kopf schüttelt.
»Nicht zur Kirche.«
Lehto zieht die Zügel an, und Voima schleppt den Schlitten in Richtung Nachbardorf. Mataleena begreift, dass sie nicht mehr nach Hause zurückkehren werden. Die Tränen hinterlassen warme Streifen auf den Wangen, aber sie gefrieren, bevor sie die Mundwinkel erreichen.
Den Vater gibt es nicht mehr.
Voima wiehert und schlägt mit dem Kopf aus, der größer aussieht als früher, weil der Rest des Pferdes geschrumpft ist. Dann hört man nur noch das düstere Knirschen des Schnees unter den Kufen.
Das Nachbarkirchdorf ist größer als das eigene, die Kirche höher. Allmählich führt die Straße zum Fluss hinunter und über eine Holzbrücke ans andere Ufer. Bei der Kirche stehen viele Leute, die als Bettler zu erkennen sind. Mataleena sieht darunter viele Kinder in ihrem Alter. Von der Brücke aus betrachtet mischen sie sich unter die Grabsteine, wenn man näher kommt, erblickt man Kopftücher und Hüte und darunter weiße Gesichter. Lehto lenkt den Schlitten von der Kirche zu der Straße, die am Fluss entlangführt.
»Ich bringe euch zum Pfarrhaus, dort wissen sie, was mit euch wird. Ich weiß das nicht.«
»Wir gehen nach Sankt Petersburg«, flüstert Marja eher zu sich selbst als zu Lehto.
»So etwas vergisst man besser. Wer weiß, ob man überhaupt von hier aus irgendwo hin kommt …«
Auf der Flussböschung steht ein großes, weißes Gebäude. Mataleena errät, dass es das Pfarrhaus ist, auch wenn sie hier noch nie gewesen ist. Lehto winkt einem Mann mit Ziegenbart. Der Mann hat Augenbrauen wie ein Uhu, sie sind von Reif überzogen. Mataleena lacht, sie hat Lust dem Mann, der Lehtos Gruß erwidert, Hu-hu zuzurufen. Plötzlich greift der Mann nach dem Zaumzeug und bringt das Pferd zum Stehen.
»Du bringst uns nicht deine Bettler hierher. Nein, nein, neineinnein …«
Der Mann schaut mit seinen Uhu-Augen, Mataleena gefriert das Lachen.
»Kümmert euch selbst um eure Leute. Wir haben hier genug von dieser Last, wir müssen sie nicht auch noch vom Nachbardorf herkarren lassen. Es kommen ständig mehr, aus dem Norden, aus dem Osten und aus dem Westen. Die werden weitergeschickt, wenn man nicht weiß, wohin man sie zurückschicken soll, viele kommen von weit her. Gestern ist eine Frau mit einem kleinen Kind an der Zufahrt zum Pfarrhaus erfroren. Nein, nein, nicht hierher mit ihnen …«
»Ich bin in eigenen Angelegenheiten unterwegs, ich halse euch niemanden auf, verflucht«, knurrt Lehto und schnalzt wütend.
Voima zieht wieder an, und der Uhu lässt das Zaumzeug los. Voima biegt nicht zum Pfarrhaus ab, sondern setzt seinen Weg am Fluss entlang fort. Lehto sagt nichts, schnalzt nur ab und zu wütend und versetzt Voima einen Schlag. Das Pferd geht immer schwerer, wird nicht schneller. Dann verbreitert sich der Fluss zum See, in den sich eine Halbinsel schiebt. Mitten auf der Halbinsel steht ein Gutshof, der noch größer ist als das Pfarrhaus. Dort endet die Straße. Es ist das Gut Viklund.
Vor dem Haus steht ein Mann, der Knecht. Lehto grüßt ihn, der Knecht erwidert matt den Gruß, dann schnauzt er, man lasse keine Bettler ins Haus. Lehto geht an ihm vorbei die Treppe hinauf. Mataleena folgt ihm, macht aber kehrt, als sie merkt, dass die
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