Das Hungerjahr - Roman
Mutter mit Juho neben dem Schlitten stehen bleibt. Auch der Knecht verschwindet durch die Tür ins Haus.
Wenig später macht eine junge Frau die Tür auf und winkt Marja und die Kinder herein.
Der große Raum ist hell, auf dem Tisch liegt eine weiße Decke. Der alte Viklund sitzt im Schaukelstuhl und schmaucht eine Porzellanpfeife. Mataleena betrachtet die dichten Koteletten des Mannes. Das eine Auge hat den Star, es ist unheimlich. Als wohnte der Frost im Auge des alten Bauern. Man muss sich davor hüten, ins Frostauge zu schauen, die Kälte kann jederzeit herausfahren und das viel zu neugierige Kind einhüllen und für immer und ewig gefangen halten.
Das Lächeln des Bauern ist jedoch warm, ebenso das gesunde Auge, mit dem er Mataleena anschaut. Das Frostauge guckt an ihr vorbei in die Ferne.
»Nimm den Gästen die Kleider ab und stell was auf den Tisch, Ella!«
Ella, die Marja und die Kinder hereingelassen hat, macht einen Knicks, sieht Mataleena freundlich lächelnd an und geht quer durch den großen Raum.
Mataleena stellt sich vor dem Spiegel im Goldrahmen auf die Zehen. Hinter dem Glas befindet sich ein Raum, der genau gleich aussieht, und von dort aus schaut Mataleena zurück. Sie hat schwarze Ringe um die Augen und tiefe Furchen um die Mundwinkel. Die Mataleena, die aus dem Spiegel herausschaut, ist eine kleingewachsene Oma, und das findet die Mataleena, die in den Spiegel hineinschaut, lustig.
»Ich bin ein Kind, du bist eine alte Frau«, flüstert Mataleena ihrem Spiegelbild zu.
Dann bemerkt sie Ella im Spiegel, die eine große weiße Schüssel auf den Tisch stellt.
»Auch wir haben schon Mangel am Essen, obwohl wir zu den wohlhabenderen Höfen im Dorf gehören. Ein Teil des Gesindes musste entlassen werden, weil wir es uns nicht leisten können, überzählige Mäuler zu füttern«, sagt Viklund zu Lehto.
Mataleena streicht mit der Fingerspitze über das Porzellan der Suppenschüssel. Sie ist weiß wie Schnee, aber warm. Am schönsten ist jedoch die rosa Rose auf der Schüssel, deren Blütenblätter mit Gold eingefasst sind. Fährt man mit dem Finger darüber, spürt man die Erhebung, als wäre es ein lebendiges, pochendes Herz, das mitten im Schnee blühte und auch im Winter nicht zu bezwingen wäre.
Ella hebt den Deckel der Schüssel an, und eine dampfende Wolke steigt auf. Mataleena bekommt einen Porzellanteller hingestellt, auf dem die gleiche Rose wie auf der Schüssel zu sehen ist. Ella gießt eine Kelle Brühe in den Teller, durch sie hindurch kann Mataleena die Rose noch immer erkennen.
Am nächsten Morgen gibt Lehto dem Gutsherrn Viklund einen Geldschein. Er verabschiedet sich kurz von Marja, streicht Juho und Mataleena übers Haar und tritt ins Freie. Mataleena sieht durch das Fenster, wie Lehtos Schlitten den Hof verlässt, auf der schmalen Straße von der Halbinsel fährt, zum Fluss hin abbiegt und danach noch lange in der Landschaft bleibt, jedoch in dem Maß ständig kleiner wird, wie Voima sich im Trab von ihnen entfernt. Ella nimmt Mataleena auf den Schoß, und Mataleena hofft, dass sie im Gutshaus Viklund bleiben werden.
Sie würde nie müde werden, beim Essen die rosa Rose zu bewundern. Dabei würde sie an ihren Vater denken. Der Vater freut sich für sie, aber nach Viklund kommt er nicht, denn er sitzt auf einer Wolke, und immer wenn man bei einem Sommerregen aus dem Fenster schaut und das Regenwasser über die Scheibe rinnen sieht, weiß man, dass es eine von Vaters Freudentränen ist.
Dann aber setzt Ella Mataleena neben Juho vor der Tür ab und bindet ihr fest das Tuch um den Kopf. Da begreift Mataleena, dass sie nun gehen müssen.
Der Knecht, der sie gestern nicht ins Haus lassen wollte, kommt zur Tür herein. Wütend schlägt er die Fäustlinge zusammen, obwohl gar kein Schnee mehr daran haftet. Lange schaut er der Reihe nach Marja, Mataleena und Juho an. Seine Augen senden verächtliche Kälte aus. Mataleena wagt es nicht, den Blick zu erwidern, auch Marja starrt zu Boden. Nur Juho hält dem Blick des Knechts stand. Sein Blick ist leer, die Wut prallt von Juhos Augen machtlos ab. Der Knecht muss aufgeben und mit den Augen die endlos langen Deckenbretter im Saal des Gutshauses abmessen. Ella kehrt aus der Küche zurück und gibt Marja zwei Brote. Man sieht ihnen sofort an, dass sie kein Rindenmehl enthalten.
Die Straße ist zugeschneit, das Pferd sinkt ein. Mataleena streckt die Hand über den Schlittenrand hinweg und schöpft eine Handvoll Schnee. Er schmilzt im
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