Das Imperium
ausgestatteten Stiefel hin und her, auf der Suche nach Halt.
Die Dorne schufen Risse im weichen Pilzfleisch. Als sie gegen den Metallstab stieß, löste er sich aus der Pilzmasse und Estarra fiel durchs Dach. Weitere Sporenkapseln gaben ihren Inhalt frei. Estarra stürzte durch mehrere fleischige Wände in eine Kammer des frischen Wachstums.
»Hilfe!«, rief sie, nieste und trachtete danach, den Atem anzuhalten. Die Luft um sie herum war voller Pollen, aber wenigstens fiel sie nicht mehr.
Celli erschien mit großen, erschrocken blickenden Augen über dem Loch, durch das ihre Schwester gestürzt war. Das kleine Mädchen hielt sich vorsichtig fest und blickte durch die Öffnung. »Ich habe ja gesagt, dass du zu alt bist.«
Etwas später brachten mehrere Kinder Seile und Flaschenzüge, um Estarra zu befreien – es war Estarra sehr peinlich, dass viele Zuschauer diese Aktion beobachteten, darunter auch Angehörige ihrer Familie. Beneto stand auf einem hohen Ast, um den Rettungseinsatz ruhig und selbstbewusst zu leiten. Schließlich kam Estarra zum Vorschein, von klebriger, übel riechender Flüssigkeit tief aus dem Innern des Pilzriffs bedeckt. Das zuvor zu Zöpfen geflochtene Haar hatte sich gelöst und war zerzaust; Schmutz klebte an Armen und Wangen. Doch im Großen und Ganzen war nur Estarras Stolz verletzt.
Als Beneto zu ihr kam, befürchtete Estarra, dass er ihr böse war, weil sie sich auf eine solche Dummheit eingelassen hatte. Doch er umarmte sie. »Danke, Estarra. Wenn du nicht ein so großes Herz hättest, wärst du nicht durch das Dach der Stadt gefallen.«
Ganz gleich, was die anderen sagen mochten: Estarra wusste, dass ihr Bruder verstand, worum es ihr gegangen war. Intensive Emotionen formten einen Klumpen in ihrem Hals und sie konnte ihn nur stumm ansehen, mit Erleichterung in den Augen. Danach war alles wieder in Ordnung.
Während des langen, lauten Banketts und der Verabschiedungen hielt Estarra jenen Moment in Gedanken fest. Die Erinnerung daran milderte nicht die Trauer, als sie am folgenden Morgen auf einem Ast in den hohen Baumwipfeln stand und dem Shuttle nachsah, der Beneto für immer fortbrachte und zu einer fremden Welt trug.
73 RLINDA KETT
Im Asteroidengürtel zwischen Mars und Jupiter begann die TVF mit dem größten militärischen Aufrüstungsprogramm in der menschlichen Geschichte. Sammler suchten metallhaltige Asteroiden, veränderten ihre Umlaufbahnen und führten sie in Bereitstellungsräumen zusammen.
Hunderttausende von spezialisierten Technikern machten sich mit orbitalem Baugerät auf den Weg. Kurze Zeit später folgte eine zweite Welle aus Hilfspersonal, Ressourcen, Habitatmodulen, Nahrungsmitteln, Wasser und Treibstoff.
Die Terranische Hanse hatte genug finanzielle Mittel bewilligt, um das gewaltige Mobilisierungsprojekt in möglichst kurzer Zeit durchzuführen. König Fredrick hatte Reden gehalten und das Volk darauf hingewiesen, dass Opfer nötig waren, für das Wohl der Menschheit. Alle Menschen mussten zusammenarbeiten, um gegen den rätselhaften und gnadenlosen Feind zu bestehen.
Zorn und Furcht herrschten auf den Kolonialwelten. Den Angriffen der Fremden schien kein Muster zugrunde zu liegen. Zwei Himmelsminen der Roamer, vier unbewohnte Monde, eine technische Beobachtungsplattform. Politiker forderten, dass die TVF dem geheimnisvollen Gegner den größten Widerstand entgegensetzte, was auch immer es kosten mochte.
Rlinda Kett aber glaubte, dass sie einen höheren Preis bezahlte als die meisten anderen Menschen. Unglücklich saß sie in einer mobilen Verwaltungsstation bei den Docks, wo Konstruktionstechniker und Inventurspezialisten bei den Schiffen standen, die für militärische Zwecke umgerüstet wurden. Rlinda sah zu den großen stählernen Gerüsten, die aussahen wie die Gerippe von Ungetümen – dort wurden Schiffsrümpfe zusammengesetzt und requirierte Frachter wie ihre eigenen mit starken Triebwerken ausgestattet. Es bereitete ihr großen Kummer, diesen Vorgang zu beobachten. Ihre Handelsflotte würde nie wieder das sein, was sie einmal gewesen war.
Als sich die Tür des nur matt erhellten Aufenthaltsraums öffnete, drehte sich Rlinda nicht um, sondern starrte weiterhin grübelnd nach draußen. Höfliche Konversation mit einem der Leute, die drei ihrer vier Frachter konfisziert hatten, um sie in schnelle Erkundungs- und Transporteinheiten zu verwandeln, stand auf ihrer Wunschliste derzeit ganz unten.
Die Requirierung, von König Frederick angeordnet
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