Das Implantat: Roman (German Edition)
nette Menschen er in seinem Leben schon kennengelernt hat.
»Wie kommt es, dass du bei ihr wohnst?«, erkundige ich mich.
Nick läuft weiter, als hätte ich ihm eine ganz normale Frage gestellt. Der flache Ton seiner Stimme verrät mir jedoch, dass dem nicht so ist. »Meine Eltern waren Otto Normalos«, sagt er. »Sie mochten es hier nicht. Und mich mochten sie auch nicht so richtig, glaube ich. Als sie weg waren, hat mich Lucy jedenfalls bei sich aufgenommen.«
Ich gehe langsamer und folge dem Jungen zum Zaun. Gebe ihm ein bisschen Raum. Schließlich dreht er sich um und stellt sich vor mich hin, als wollten wir uns einen Baseball zuwerfen.
»Um wieder aufs Wesentliche zurückzukommen: Du hast da dieses Hirnimplantat«, erklärt er. »Der Schalter muss sich in deinem Kopf befinden.« Er tippt sich an die Schläfe. »Kannst du ihn spüren, wenn du dich darauf konzentrierst?«
Ich runzle die Stirn.
Nick zuckt mit den Achseln und fährt fort: »Weil ich zum Beispiel manchmal spüren kann, wie dieses Wohlfahrts-Ding mich … irgendwie vorwärtspusht. Wie wenn man in einem Bach steht und spürt, wie das Wasser gegen die Beine fließt, weißt du?«
Ja, ich weiß, wovon er spricht. Weiß es ganz genau. Bisher habe ich mir immer Mühe gegeben, dieses Gefühl so gut wie möglich zu ignorieren. Mir nicht bewusst zu machen, dass ich einen Fremdkörper im Kopf habe, der jede Minute meines Lebens beeinflusst.
»Also gut«, sage ich. »Ich werde es versuchen.«
Nick hebt die Arme und jubelt stumm.
Ich schließe die Augen. Versuche, meine Gedanken wie Tentakel um das Stück Plastik zu winden, das sich in meinen Hirnzellen eingenistet hat. Fast kann ich fühlen, wie es bei jedem Herzschlag leicht erzittert.
Schwisch, schwisch, schwisch.
Jetzt höre ich leises Rauschen, als würde ich mir eine Muschel ans Ohr halten.
Das Rauschen wird lauter, zerfällt in Muster und brandet gegen mein Bewusstsein. Sind da auch Worte? Das Implantat versucht, mit mir zu reden. Ja, ich nehme es immer deutlicher wahr. Ein Wort:
Nick.
Ich öffne die Augen.
Nick hat noch das Lächeln von eben im Gesicht, als der Stein ihn trifft. Das kantige kleine Stück Beton lässt es jedoch schnell verschwinden. Auf seiner Stirn erscheint ein roter Kratzer, der sich rasch mit Blut füllt und dann wie ein zu dick aufgetragener Strich Farbe an seinem Gesicht herabrinnt.
Auf der anderen Seite des Zauns johlt ein blonder Junge. Insgesamt sind es drei oder vier Jungen, die sich dort im hohen, braunen Gras verstecken. Ich kann ihr hämisches Lachen hören.
Nick weint nicht. Drückt nur schweigend die Hand auf die Wunde und sieht mich mit seinem blutigen Gesicht traurig an. Auch seinen Zauberwürfel hat er nicht fallen gelassen.
Ich spüre, wie in mir die Wut hochkocht. Von meiner Konzentration ist nichts mehr übrig. Bevor ich weiß, was ich tue, laufe ich auf das braune Gras zu. Etwas ungelenk drücke ich den alten Holzzaun zu Boden und marschiere darüber hinweg.
Ich bin so vollgepumpt mit Adrenalin, dass ich praktisch in einer fließenden Bewegung den Maschendrahtzaun erklimme und auf der anderen Seite wieder hinunterspringe. Auf dem Feld liegen leere Bierdosen und Müll herum. Ein Campingstuhl mit zerrissener Sitzfläche steht im Gras, den sicherlich einer der Scheinwerfer-Typen hier zurückgelassen hat. Und drei männliche Jugendliche stehen auch da.
»Seid ihr nicht ganz dicht?«, höre ich mich rufen. »Hey!«
Die Teenager rennen nicht weg, wie ich es halb erwartet hatte. Stattdessen bauen sie sich um mich herum auf, als sei es das Selbstverständlichste der Welt. Plötzlich wirken sie ganz anders. Jeder Junge für sich allein mag noch halbwegs in Ordnung sein, aber zusammen werden sie zur Hydra: ein Monster, drei Köpfe.
»Warum habt ihr das getan?«, frage ich. »Was ist los mit euch?«
»Was ist los mit euch?«, äfft mich ein flachsblonder Junge mit hoher Stimme nach. »Was für ein Loser.«
Wieder lachen die Jungen.
»Amp-tragender Loser.«
Ich drehe mich um, um zu sehen, wer das gesagt hat. In dem Moment trifft mich ein Brocken Erde am Mund, schlägt mir die Lippe auf und explodiert zu Staub. Instinktiv schließe ich die Augen, doch sie sind schon voll mit Dreck. Halb blind beuge ich mich nach vorne und spüre, wie Tränen mein Gesicht herunterrollen.
»Was zum Teufel?«, stammle ich.
Das Lachen der Jungen bekommt eine bösartige Note.
»Volltreffer, Baby!«
Jemand schubst mich von hinten, so dass ich in dem hohen Gras ins
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