Das Implantat: Roman (German Edition)
gleichmäßig. »Himmel, da mag er recht haben, aber ob er ihnen damit auch wirklich einen Gefallen tut, weiß ich nicht. So liefert er den Normalos einen Grund für ihren Krieg. Und dann werden all die verrückten Prophezeiungen, die dieser Vaughn macht, sich erfüllen.«
Jemand hämmert mit der Faust gegen die Vordertür. Wir beachten es beide nicht. Ich dränge mich an Jim vorbei in mein Schlafzimmer. Ziehe mir etwas an. Jim bleibt im Flur stehen, das Gesicht im Schatten.
»Beobachte ihn, Owen. Lern, so viel du kannst. Aber sei um Gottes willen vorsichtig«, meint er. »Der Rest der Welt wartet nur darauf, uns zu überrollen wie ein Tsunami. Nicht nur Eden. Alle Amps. Eine halbe Million unschuldiger Menschen.«
Das Hämmern hört nicht auf. Wieder und wieder erzittert die Fliegengittertür.
»Lyle will, dass ich das Gerät anschalte, Jim«, sage ich.
»Dann musst du jetzt alles wissen«, gibt Jim mit einem Seufzer zurück. »Nach der Aktivierung kommst du in einen Zustimmungsmodus. Ja oder nein. Entweder hörst du eine Stimme oder siehst die Antworten vor deinem geistigen Auge.«
Bumm, bumm, bumm.
»Aber was bewirkt es denn überhaupt?«, frage ich.
»Autonome Delegierung«, antwortet Jim. »Dein Körper agiert und reagiert schneller, als du denken kannst. Du handelst, ohne zu überlegen. Dein wahres Selbst übernimmt die Regie. Je tiefer du gehst, umso schwerer wird es, das Ganze wieder abzuschalten. Und wenn du dich erst einmal auf einen bestimmten Level hinabbegeben hast, steigst du von da an immer bei diesem Level ein. Kein Zurück. Das Ding kann dich an ziemlich dunkle Orte führen.«
Das Hämmern hört auf.
»Es wird mich in eine Waffe verwandeln«, sage ich mit plötzlich viel lauterer Stimme.
»Wenn du bloß deine Hände zu Fäusten ballst, verwandelst du dich schon in eine Waffe«, entgegnet Jim. »Dein Körper ist auch nur ein Werkzeug. Diese Technologie verändert nichts, sie verstärkt nur, was bereits da ist. Wie du deine Werkzeuge einsetzt, darüber entscheidest du selbst. Ob du damit Gutes oder Schlechtes tust.«
Vom Schlafzimmerfenster her ist ein Knarren zu hören, und als ich hinsehe, entdecke ich ein vertrautes Gesicht. »Owen«, ruft Nick mit seiner hohen Stimme. »Lyle hat mich geschickt. Komm, das musst du sehen!«
Nick schwingt seine kurzen Arme heftig, während er vorauseilt. Eigentlich ist er noch zu jung, um Teil von alledem zu sein. Nicht mehr als ein Baby, das verlassen auf den Bahngleisen liegt. Als wir uns außerhalb der Hörweite des Wohnwagens befinden, lege ich dem Jungen die Hand auf die Schulter. Bremse ihn etwas, damit wir reden können.
»Nick«, beginne ich, »hat Lucy irgendwas darüber gesagt, dass …?«
»Dass du sie angeschrien hast?«, fragt er.
Ich blinzle überrascht. Bin ich wirklich so laut geworden?
»Nein«, sagt Nick. »Aber du solltest dich bei ihr entschuldigen.«
»Ja, es tut mir leid. Und das werde ich ihr auch sagen. Aber was ich meinte, ist … ob sie was über Lyle gesagt hat. Wird hier etwas passieren? Etwas Großes?«
Nick zuckt mit den Achseln. »Wer weiß? Er sagt ihr ständig, sie solle sich eine Waffe besorgen. Aber der Typ ist merkwürdig. Frag ihn doch einfach selbst.«
Als wir uns Lyles kleiner Wohnwagengruppe nähern, sehe ich ungefähr ein Dutzend seiner Anhänger davor herumstehen. Sie schauen durch die staubigen Fenster eines halb zerfallenen Wohnwagens und versuchen, etwas zu erkennen. Ein paar der Halbstarken kenne ich, doch sie halten Abstand. Ich habe jetzt dieselbe Aura um mich wie Lyle – und die erzeugt Respekt in den Menschen. Und Angst.
»Das ist so krank, Mann«, keucht Nick.
»Geh nach Hause«, weise ich ihn an. »Ich erzähl dir später alles. Los, geh schon.«
Widerwillig zieht Nick sich zurück und drängt sich zwischen den Beinen der anderen hindurch. Diese bilden einen unordentlichen Kreis um mich. Ich klopfe an die wellige Vordertür. Sofort quietschen die Angeln, und sie öffnet sich einen Spaltbreit. Aus dem Spalt blickt mich ein Auge an.
»Mach, dass du hier reinkommst, Schlauschlumpf«, flüstert Lyle. Ich quetsche mich seitwärts durch die Tür, und Lyle drückt sie hinter mir wieder zu.
Als ich bemerke, was vor sich geht, bekomme ich ein ungutes Gefühl im Magen.
Im dunklen, muffig-feuchten Innenraum des Wohnwagens sind zwei Jugendliche zu erkennen. Sie sind mit reichlich Isolierband an alte Gartenstühle gefesselt. Zeigen keine Anzeichen von Widerstand. Und sie sehen nicht aus, als
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