Das Inferno Roman
musste sie ihre Meinung revidieren. Vielleicht war er noch am Leben gewesen, nachdem sie auf ihn geschossen hatte, und war mit dem Gesicht voran auf den Asphalt gestürzt. Sie hielt es für möglich, dass er sich von alleine auf den Rücken gedreht hatte. Wahrscheinlicher war aber, dass jemand ihn in diese Position gebracht hatte.
Jemand, der an seinen Mund wollte.
Sein weit offen stehender Mund war bis zum Rand mit Blut gefüllt.
Mit ihrem Fuß stieß Barbara gegen Earls Wange. Sein Kopf fiel zur Seite, das Blut lief heraus. Ihren Turnschuh gegen sein Ohr gedrückt, brachte sie den Kopf wieder in seine Ausgangsposition.
Sie schaute in seinen Mund.
Es war alles blutig dort drin, und sie war nicht nahe genug, um zu erkennen, ob man ihm die Goldkronen herausgebrochen hatte. Dazu hätte sie sich neben ihn knien und sehr, sehr genau hinsehen müssen.
So wie ihr Kopf und ihre verwundete Seite vor Schmerz pochten, hatte sie keine Lust dazu.
Das ändert auch nichts an der Sache, sagte sie sich.
Ich habe ihm versprochen, dass ich nicht zulasse, dass ihm jemand die Zähne herausreißt.
Na und?
Er hat auf mich geschossen. Er hat auf Pete geschossen. Wir haben ihn umgebracht. Irgendein Arschloch hat ihm die Zähne geklaut. Pech gehabt.
Sie sah sich um und suchte nach seiner Pistole. Bei seiner Leiche lag sie nicht, auch sonst war sie nirgendwo zu sehen.
Verschwunden, genau wie Barbaras Gewehr.
Sieht aus, als ob jemand die Waffen an sich genommen hat, dachte sie.
Sie ging weiter, zwischen den Leichen hindurch. Einige hatten blutige Münder.
Jemand hatte sie mit einer Zange bearbeitet, da war sich Barbara sicher. Kleider, Skalps, Tattoos und Motorräder hatte man ihnen gelassen. Vielleicht waren ihre Geldbörsen geklaut worden. Barbara hatte nicht die Absicht, nachzusehen.
Spezialisierte Plünderer.
Nicht mein Fachgebiet, Süße. Ich mache nur in Knarren und Zahnkronen.
Wie sieht es mit Messern und Zahnbrücken aus?
Da lass ich die Finger von, Kleine.
Ich verliere den Verstand, dachte Barbara.
Mit der Zunge prüfte sie ihre Zähne.
Und fragte sich, ob irgend so ein schmutziger Penner auch ihren Mund abgesucht hatte, als sie bewusstlos war. In ihrem Mund herumgefingert. Mit einer Zange darin herumgefuhrwerkt.
Sie spürte Brechreiz aufsteigen.
Aber sie vergaß ihre Übelkeit, als sie sah, dass die Frau, die aus dem Wagen gezerrt worden war, tatsächlich nicht mehr dalag. Übrig geblieben war nur der Biker, der über ihrem Hintern zusammengebrochen war. Und dort lag der Ärmel ihrer cremefarbenen Bluse.
Pete hatte sie anscheinend doch nicht getroffen.
Sie hat sich tot gestellt, genau wie ich.
Nach dem ganzen Geballere ist sie einfach aufgestanden, hat sich in ihren Wagen gesetzt und ist davongefahren.
Vielleicht.
Oder jemand hat sie verschleppt.
Von den Bikern konnte es keiner gewesen sein, die waren alle schon vor dem letzten Schusswechsel tot.
Vielleicht hatte ein Plünderer sie sich geschnappt?
Knarren, Zahnkronen und Frauen.
Und warum hat er mich nicht verschleppt?
Vielleicht hat er gedacht, ich sei tot?
Bleib bei der Sache, ermahnte sie sich. Du musst Pete finden.
Sie lenkte ihren Blick auf die Leichen, die sie noch nicht näher angesehen hatte - weil sie vermeiden wollte, Pete unter ihnen zu entdecken. Solange sie ihn nicht mit eigenen Augen gesehen hatte, konnte sie sich immer noch an die Hoffnung klammern, dass er die Schießerei überlebt hatte.
Dreh dich einfach um und lauf weg, dachte sie.
Sieh nicht hin. Du willst nicht sehen, dass er tot ist.
Wenn du ihn nicht siehst, kannst du ihn so in Erinnerung behalten, wie er aussah, als er noch lebte.
Wie er auf dem Pick-up aussah.
Wie er sich anfühlte.
Mit einem Seufzen wischte sie ihre Tränen ab.
Wenn du ihn nicht siehst, kannst du so tun, als ob er immer noch lebt und ihr euch irgendwann wieder begegnet, als ob er nicht für immer aus deinem Leben verschwunden ist und du ihn wieder küssen wirst, ihr im Mondlicht zusammen an einen geheimen Ort spaziert und euch dort die ganze Nacht lang liebt.
Clint hörte das herannahende Donnern. Bevor er etwas sagen konnte, begann die Straße unter seinen Füßen zu ruckeln und zu wackeln.
»Heilige Scheiße!«, kreischte Em.
Mary schrie auf: »Oh Gott!«
Beide Frauen zerrten an ihm, und Clint stolperte hinund hergerissen umher wie ein Blinder beim Squaredance.
»Ein Nachbeben!«, schrie Em. Lag da Genugtuung in ihrer Stimme? Sie hatte ein größeres Nachbeben vorausgesagt, und
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