Das Inferno
etwa einen Meter fünfundsechzig groß und hatte breite Schultern, einen großen Kopf und eine gesunde Gesichtsfarbe.
Sein sorgfältig gekämmtes Haar war ebenso weiß wie seine buschigen Augenbrauen, und die gerade Nase hätte man fast als klassisch bezeichnen können. Er hatte einen festen Mund und ein energisch wirkendes Kinn und mochte wohl zwischen Ende fünfzig und Anfang siebzig sein. Schwer zu sagen.
Schließlich senkte der Mann den Blick und nahm aus einer länglichen Silberdose einen Zahnstocher, mit dem er sich hinter vorgehaltener Hand etwas aus den Zähnen holte. Paula bemerkte, dass der Zahnstocher aus Elfenbein war. Als der Mann fertig war, legte Rondel die Hände auf den Tisch, als ob er aufstehen wollte. Der andere Mann sagte etwas zu ihm, und Rondel erhob sich endgültig und verließ den Raum. Während Tweed weiter den jetzt allein dasitzenden Mann betrachtete, erinnerte er sich daran, dass Paula ihn wie jemanden beschrieben hatte, der eine natürliche Autorität ausstrahlte. Er musste ihr Recht geben. Tweed trank gerade einen Schluck Champagner, als Rondel an ihren Tisch trat.
»Willkommen im Fischereihafen«, sagte er. »Ich persönlich halte es für das beste Restaurant in ganz Deutschland. Darf ich mich kurz zu Ihnen setzen?« Er nahm auf dem Stuhl neben Tweed Platz. »Mein Partner lässt Sie grüßen. – Ja, ich hätte gern etwas Champagner«, sagte er zu dem Kellner, der ihm ein Glas hingestellt hatte. Dann lächelte er Paula freundlich an. »Mal sehen, ob der Champagner hier etwas taugt.«
»Er ist vorzüglich, glauben Sie mir«, sagte Paula, ebenfalls lächelnd.
»Dann verbeuge ich mich vor Ihrer exzellenten Auswahl«, sagte Rondel, nachdem er an seinem Glas genippt hatte. »Sie scheinen mir eine profunde Weinkennerin zu sein, Miss Grey.«
»Bitte, nennen Sie mich doch Paula.«
»Und Sie mich Victor.« Er lächelte Newman an, bevor er sich schließlich an Tweed wandte.
»Und jetzt kommen wir zur Frage, was Sie essen. Es sollte etwas sein, was Ihnen Ihren Besuch hier unvergesslich erscheinen lässt. Ich hoffe, Sie mögen Fisch, etwas anderes kommt hier nämlich nicht in Frage…« Er lachte kurz auf. »… aber dafür gibt es hier die beste Auswahl weit und breit. Herr Ober, noch eine Flasche Champagner, bitte!«
Paula fand, dass Rondel ein gut aussehender Mann war. Im Licht der Tischlampe schimmerte sein glattes, blondes Haar golden auf, während er mit seinen meergrünen Augen unverhohlen in die ihren blickte. Seine Gesichtszüge erinnerten sie an eine Statue von Apollo, die sie einmal in einem Museum gesehen hatte, aber das bei weitem Attraktivste an ihm waren seine spritzige Persönlichkeit, seine guten Manieren und sein gepflegtes, hervorragend artikuliertes Englisch. Es wäre bestimmt angenehm, mit ihm einen Abend lang auszugehen, fand sie.
Paula wählte eine Fischsuppe und danach Seezunge und betätigte sich damit als Trendsetterin, denn nach kurzem Studium der Karte bestellten Tweed und Newman das Gleiche.
Tweed blickte hinunter zu Rondels Partner, der wieder mit seinem Zahnstocher zugange war und sich dabei unauffällig im Restaurant umsah.
»Entschuldigen Sie bitte, aber wir waren hungrig und haben schon gegessen. Mein Partner isst schnell, lässt sich dafür aber stundenlang Zeit mit dem Kaffee.« Dabei sah er hinüber zu Tweed, der immer noch nach unten blickte. »Er trinkt das Zeug literweise. Übrigens macht es ihm nichts aus, eine Zeit lang alleine zu bleiben. Das gibt ihm Zeit zum Nachdenken. Und das ist seine wichtigste Beschäftigung.«
»Wohnt er in Hamburg?«, fragte Tweed.
»Gute Frage«, sagte Rondel und beugte sich vor, um Paulas Glas erneut zu füllen. »Er wohnt praktisch überall, weil er überall Häuser hat. In London, Paris, New York, San Francisco.
Aber er legt großen Wert auf seine Privatsphäre. Genau wie Sie, Tweed, oder täusche ich mich da?«
»Kommt drauf an.«
»Tweed kann auch sehr gesellig sein«, sagte Paula. »Je nachdem, mit wem er zusammen ist.«
Ihr gefiel es, wie Rondel die Unterhaltung am Laufen hielt und wie er jeden einzelnen seiner Gesprächspartner mit einbezog.
»Hat denn Ihr Partner auch ein Haus in Hamburg?«, fragte Tweed, nachdem sie ihr Essen bestellt hatten.
»O ja. In Blankenese, wenn Sie wissen, was das ist.«
»Das Millionärsviertel von Hamburg.«
»Manche nennen es immer noch so«, sagte Rondel lachend.
»Aber die Zeiten haben sich geändert. Ich würde es eher als das Gaunerviertel bezeichnen.«
»Gibt es
Weitere Kostenlose Bücher