Das Inferno
die Fotokopien mit auf sein Zimmer, während Tweed das Telefon abhob und Lisa anrief.
»Hallo, Lisa, hier Tweed. Wir verlassen morgen früh das Hotel.
Könnten Sie vielleicht schon mal Ihre Sachen packen? Gut.
Später essen wir dann gemeinsam zu Abend.«
Nachdem er wieder aufgelegt hatte, sagte Paula: »Wollen Sie Lisa wirklich mitnehmen? Ich finde, Sie machen da einen großen Fehler.«
»Nein, mache ich nicht. Wenn Lisa bei uns ist, können wir sie besser im Auge behalten.«
Es klopfte, und Paula öffnete vorsichtig die Tür. Es war Nield, der so aussah, als ob er es eilig hätte.
»Ich habe vor zwei Stunden gesehen, wie Oskar Vernon ins Atlantic gegangen ist«, sagte er.
»Wissen Sie auch, ob er sich dort mit Gavin Thunder getroffen hat?«, fragte Tweed.
»Nein, leider nicht. Aber immerhin ist er nicht lange nach Thunder angekommen. Und inzwischen wurde übrigens noch ein hohes Tier ins Hotel geschmuggelt. Ein Amerikaner.«
»Wieso geschmuggelt?«
»Man hat ihn mit dem Lastenaufzug nach oben gefahren. Der Typ hatte jede Menge Leibwächter bei sich. Einer von denen hat mich gefragt, ob ich vorhätte, mit meinem Auto noch länger vor dem Hotel zu stehen. Ich habe gerade einen Apfel gegessen und so getan, als ob ich ein Buch lesen würde. Ich habe ihm gesagt, er solle mich in Ruhe lassen, ich würde auf meine Freundin warten. Daraufhin ist er abgeschoben. Tja, ich gehe lieber wieder zurück. Vielleicht gibt’s ja noch mehr zu sehen…«
Tweed trat hinaus auf den Balkon, und Paula folgte ihm. Es war fast dunkel. Die Lichter der Gebäude am anderen Ufer spiegelten sich im Wasser der Alster, und zwei angestrahlte Kirchtürme ragten in den sternenklaren Nachthimmel. Lange standen Tweed und Paula schweigend da und bewunderten die herrliche Aussicht.
»Wie ein impressionistisches Gemälde«, sagte Tweed nachdenklich. »Jetzt ist also auch Gavin Thunder hier, und ein wichtiger Mann aus den Vereinigten Staaten schleicht sich heimlich in das Hotel, in dem jener und Oskar Vernon abgestiegen sind. Wissen Sie was? Ich frage mich manchmal, ob ich mir nicht alles ganz falsch zusammengereimt habe, ob es in Wirklichkeit nicht doch ganz anders ist.«
27
Nield saß hinter dem Steuer des Opels und hatte wegen der großen Hitze das Fenster heruntergekurbelt, als ihm plötzlich von draußen die Mündung eines Magnum-Revolvers an die Schläfe gedrückt wurde.
»Raus aus dem Auto, aber langsam. Und Hände weg von den Taschen, sonst geht die Kanone plötzlich von selbst los.«
Nield öffnete die Tür vorsichtig, während der Revolver dreißig Zentimeter von seinem Kopf nach draußen wanderte.
Verärgert erkannte Nield die Stimme. Sie gehörte demselben Amerikaner, der vorhin mit ihm gesprochen hatte.
Erst als er vor dem Auto auf dem Gehsteig stand, bemerkte er, dass der Leibwächter wie ein Football-Spieler gebaut war. Er war fast einen Meter neunzig groß und trug ein versteinertes Gesicht zur Schau. Auf Nield wirkte er wie ein Mann, den man keinesfalls unterschätzen durfte.
»So, Freundchen, jetzt dreh mir den Rücken zu. Aber langsam. Keine plötzlichen Bewegungen. So was macht mich nervös, und wenn ich nervös bin, drücke ich ab.«
Nield drehte sich wie in Zeitlupe um und blieb dann stehen, als er dem Leibwächter den Rücken zukehrte. Er spürte den Lauf des Revolvers an seinem Rücken und fluchte innerlich.
Weit und breit war niemand zu sehen. Die Straße lag wie ausgestorben da. Nield atmete tief ein, um seine Wut etwas abzukühlen.
»So, und jetzt werde ich dich durchsuchen, Freundchen.
Zuerst nach Waffen, dann nach einem Ausweis. Kapiert? Wenn du dich wehrst, gibt’s was auf die Mütze, und das wollen wir doch nicht, oder? Also denk dran: Ich habe die Knarre immer in meiner rechten Hand und taste dich mit der linken ab. Deine Freundin hätte sich nicht so viel Zeit lassen dürfen.«
Nield blieb stocksteif stehen. Obwohl er seine Walther unter dem Armaturenbrett befestigt hatte, war es ein Fehler gewesen, so lange in dem Wagen zu bleiben, um das Hotel zu beobachten.
Der Bastard musste sich wohl von hinten angeschlichen haben.
»Eine falsche Bewegung, und du hast eine Kugel im Rücken.«
Es war eine andere Stimme, die so eiskalt klang wie der Nordpol. Die Stimme von Harry Butler. »Falls du es noch nicht erraten hast, Kumpel, das Ding, das ich dir da an deine Wirbelsäule drücke, ist eine Automatik, die jeden Augenblick losgehen kann. Vielleicht wäre es besser für dich, wenn du deine ›Knarre‹,
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