Das Inferno
meine Liebe«, sagte Slavic, der den entsetzten Ausdruck ihres Gesichts bemerkt hatte. Er richtete die Pistole auf die Wand und drückte ab. Aus der Mündung der Waffe erschien eine Flamme, mit der er sich lächelnd die Zigarre anzündete.
»Die Pistole ist nur ein Feuerzeug«, sagte er und legte die vermeintliche Waffe wieder auf den Schreibtisch zurück.
»Meine verstorbene Frau hat es für mich in London anfertigen lassen. Ich liebe es sehr.«
»Originell«, bemerkte Paula.
»So originell wie das hier«, platzte Rondel heraus, der sich offenbar nur ungern die Schau stehlen ließ. Er deutete auf das große Panoramafenster. »Sieht aus wie ganz normales Fensterglas, nicht wahr?«
»Richtig.«
»In Wirklichkeit ist es aber ein ultradünnes Spezialglas. Milo hat es in Tschechien nach seinen Vorgaben anfertigen lassen.
Wenn ich zum Beispiel diesen Briefbeschwerer gegen das Fenster werfen würde, würde er nicht etwa die ganze Scheibe zerbersten lassen, sondern lediglich ein Loch reißen, das genau seine Konturen hätte. Auf diese Weise lässt sich die Scheibe ganz einfach reparieren.«
»Ich finde, das Glas ist sehr klar und durchsichtig«, sagte Paula.
»Wir haben wichtigere Dinge zu besprechen als die Beschaffenheit meines Fensters«, unterbrach Slavic die beiden.
»Tweed hat mich soeben darüber informiert, dass die Unruhen in unseren Großstädten nach neuesten Erkenntnissen binnen weniger Stunden beginnen sollen.«
»Tatsächlich?«, sagte Rondel mit skeptischem Unterton.
»Glauben Sie das etwa nicht?«, fragte Slavic.
»Hat er Ihnen das erzählt, nachdem Sie ihm Ihr diabolisches System gezeigt haben?«
»Diabolisch?«,
sagte Tweed.
Er und alle anderen saßen nebeneinander auf einer langen Bank an der dem großen Fenster gegenüberliegenden Wand.
Rondel hatte sie gebeten, dort Platz zu nehmen, nachdem Tweed, Paula und Lisa zurückgekehrt waren. Vor der Bank stand ein langer Tisch, der mit Tellern aus Meißener Porzellan und vergoldetem Besteck gedeckt war. Neben jedem Teller standen außerdem mehrere Gläser, die für den in Eiskübeln bereitgehaltenen Champagner und Weißwein sowie den Rotwein gedacht waren, dessen Flaschen in kleinen Körbchen auf dem Tisch angerichtet waren.
»Ja, diabolisch«, sagte Rondel. »Vermutlich hat er Ihnen erzählt, dass er damit das Internet zerstören will, aber dass man damit noch etwas ganz anderes tun kann, hat er Ihnen bestimmt verschwiegen. Milo ist davon überzeugt, dass die Welt bis ins Mark verdorben ist. Hier im Schloss gibt es einen verborgenen Raum, von dem aus sich Langstreckenraketen starten lassen, deren Gefechtsköpfe mit hochgiftigem Gas gefüllt sind. Eine der Raketen ist so programmiert, dass sie über London explodiert, zwei weitere haben als Ziel Paris und Berlin, eine vierte ist für Amsterdam bestimmt.«
Paula fiel erst jetzt auf, dass auf dem Platz neben ihr niemand saß. Harry Butler war noch immer draußen vor dem Schloss.
Rondels Worte hatten ihr Angst gemacht. Sie schaute hinüber zu Slavic, der zusammengesunken hinter seinem Tisch saß und mit starrem Blick an die leere Wand vor seinem Schreibtisch starrte.
Großer Gott, dachte sie. Wir haben uns alle in ihm getäuscht.
43
Draußen im Freien lehnte sich Harry Butler an eine Mauer des Schlosses. Über ihm befand sich das Panoramafenster des Arbeitszimmers, das er von seiner Position aus aber nicht einsehen konnte, und hinter dem niedrigen Geländer vor ihm stürzte die Felswand fast senkrecht hinab ins Meer. Zu seinen Füßen hatte Butler die Tasche stehen, in der sich seine Uzi befand.
Die Unterhaltung im Arbeitszimmer hatte ihn ziemlich gelangweilt: Butler war ein Mann der Taten, nicht der Worte.
Jetzt war er froh darüber, dass aus dem schallisolierten Arbeitszimmer kein Laut nach draußen drang.
Harry Butler kannte keine Höhenangst, und deshalb konnte er dicht an das Geländer herantreten, um auf den leeren Strand tief unten zu blicken, wo sich schäumend kleine Wellen brachen.
Eine mittlerweile aufgekommene Brise sorgte seit ein paar Minuten für leichten Seegang.
Als er eine halbe Stunde zuvor gesehen hatte, dass der Dampfer den Landungssteg verließ, war er ein bisschen besorgt gewesen. Aber dann hatte er beobachtet, wie Tweed und Paula zusammen mit ihrem Gastgeber und Lisa den Weg zum Gipfel des Bergs hinaufgegangen waren. Paula hatte nach unten auf den leeren Landungssteg gedeutet, und Tweed hatte ihr etwas erwidert und gelacht. Wenn Tweed sich so offensichtlich keine
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