Das Inferno
ebenso schockiert wie alle anderen.
Paula bekam immer mehr das Gefühl, in einem Albtraum gefangen zu sein, aus dem es kein Erwachen gab. Alle um sie herum saßen still da, sagten nichts und verzogen keine Miene.
Paula erinnerte die Situation an den Augenblick in der Sandgrube, als sie plötzlich dem weißhaarigen Riesen Auge in Auge gegenübergestanden hatte. Ebenso wie dort, war sie auch jetzt vor lauter Schreck nicht in der Lage, irgendetwas zu tun.
»Einer von Ihnen beiden sagt die Unwahrheit«, meldete sich auf einmal Tweed zu Wort. »Die Frage ist nur, wer.«
»Das können Sie ja hoffentlich selbst entscheiden«, erwiderte Slavic verbindlich.
Zu verbindlich,
dachte Paula. Er saß hinter seinem Schreibtisch wie jemand, der alles unter Kontrolle hatte, und diese Haltung erschreckte Paula mehr als alles andere. Es war gena u das Verhalten, das ein Verrückter an den Tag legen würde. Wahrscheinlich hielt er sich für eine Art Gott, der auf seinem selbst erschaffenen Olymp saß und über die Geschicke der Menschen bestimmte. Mit einem Verrückten konnte man nicht diskutieren.
»Blondel hat es schon immer geschafft, die Leute auf seine Seite zu ziehen«, sagte Slavic, während er immer noch an die leere Wand starrte.
»Mein Name ist Rondel, nicht Blondel«, erwiderte sein Partner mit betont ruhiger Stimme.
»Er mag den Namen nicht, weil er blonde Haare hat«, sagte Slavic, als ob das eine Erklärung wäre.
»Etwas verstehe ich an der Sache nicht«, sagte Tweed gelassen.
»Was denn?«, wollte Rondel wissen.
»Wie kann man mit einer Vorrichtung wie der, die wir vorhin gesehen haben, Langstreckenraketen abfeuern? Selbst als sie voll ausgefahren war, sah sie nicht danach aus.«
»Ausgefahren?« Jetzt klang Rondel erstaunt. »Sie wollen doch nicht etwa sagen, dass Milo den Mast ausgefahren hat, während Sie mit ihm im Kontrollraum waren?«
»Doch, das hat er. Ich bin zwar kein Raketenexperte, aber die Parabolantennen kamen mir eher wie eine Vorrichtung zum Aussenden von Radiowellen vor. Erklären Sie mir bitte, wo die Silos mit den Raketen sind.«
Paula blickte hinüber zu Slavic, der immer noch seine Zigarre rauchte. Er hatte ein leises, fast fragendes Lächeln auf dem Gesicht. Dann drückte er den Zigarrenstummel mit einer entschlossenen Handbewegung im Aschenbecher aus.
Rondel machte mit den Händen eine Geste, als wüsste er nicht, worauf Tweed hinauswolle. Dann aber griff er blitzschnell unter sein Jackett und zog eine Pistole heraus, die er auf Lisa richtete.
»Alle außer Milo stehen sofort auf und falten die Hände hinter dem Kopf, sonst erschieße ich Lisa auf der Stelle.«
Paula und die anderen taten, was Rondel von ihnen verlangte.
Newman überlegte kurz, ob er nach seinem Revolver greifen sollte, aber Rondels Waffe war eine .32er Browning, die gleiche Waffe, wie sie auch Paula in ihrer Schultertasche mit sich führte. Ihr Magazin fasste neun Schuss, was mehr als ausreichend war, um sie alle zu töten. Außerdem erkannte Newman an der Art, wie Rondel die Pistole hielt, dass er hervorragend damit umgehen konnte.
»Da hätten wir also unseren Mr. Blue alias Monsieur Bleu«, sagte Tweed. »Oder würden Sie lieber Herr Blau genannt werden, wo wir doch nicht weit von der deutschen Küste entfernt sind?«
Rondel zuckte erschrocken zusammen, behielt aber die Browning nach wie vor sicher in der Hand. Dann wandte er sich an Slavic. »Du bleibst sitzen, Alter, sonst puste ich deine Tochter um«, fauchte er ihn despektierlich aus dem Mundwinkel an, bevor er Tweed antwortete: »Ich weiß überhaupt nicht, wovon Sie reden.«
»Doch, das wissen Sie genau, Rondel. Sie sind Mr. Blue.
Zufälligerweise ist der Sicherheitschef in Heathrow ein alter Freund von mir. Er war so freundlich, in meinem Auftrag die Passagierlisten der vergangenen Monate durchzusehen und das Ergebnis meiner Mitarbeiterin in London mitzuteilen. Sein Computer hat interessante Sachen ausgespuckt, darunter eine ganze Reihe von Flügen eines gewissen Monsieur Blon. Das war ziemlich gewagt von Ihnen, Blondel…«
Fast hätte er ›arrogant‹ gesagt, aber er wollte Rondel, mit dessen Nervenkostüm es sichtlich nicht zum Besten stand, nicht noch weiter reizen.
»Der erste dieser Flüge ging nach Washington, und zwar eine Woche vor dem angeblichen Selbstmord von Jason Schulz, dem Mitarbeiter des amerikanischen Außenministers. Später flog derselbe Monsieur Blon nach Paris, wo fünf Tage später Louis Lospin ermordet wurde, der
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