Das Inferno
gesehen und wusste, wie ich allzu zudringliche Männer abwehren musste.«
»Wo sind Sie eigentlich zur Welt gekommen?«, fragte Tweed ruhig.
»In einem Ort namens Pinner in Middlesex. Ich habe dort gelebt, bis ich auf die Roedean gekommen bin. Die genaue Adresse war Shoals Cottage in der Orchard Tree Road.«
Tweed lächelte. Lisa hatte seine nächste Frage schon vorweggenommen. Er machte sich keine Notizen, weil das Gesprächspartner meist befangen machte.
»Sind Sie eigentlich mit Ihrer verstorbenen Schwester gut ausgekommen?«
»Nein. Wir waren wie Hund und Katze. Weil sie älter war, hat Helga geglaubt, sie könne mich ständig herumkommandieren.
Fairerweise muss ich sagen, dass ich heute glaube, dass es nun mal an ihrem Temperament lag. Meine Mutter hatte einen deutschen Professor aus Freiburg geheiratet und war zu ihm gezogen. Keine Ahnung, weshalb sie das gemacht hat.«
»Sie haben alle meine Fragen mit Bravour beantwortet«, sagte Tweed freundlich. »Und ich dachte schon, Sie würden wieder auf mich losgehen.«
»Das tut mir Leid. Manchmal geht mir einfach der Gaul durch, besonders dann, wenn ich sehr angespannt bin. Aber in einer Notlage kann man sich hundertprozentig auf mich verlassen.«
»Und Sie wissen, wie man mit einer Beretta umgeht«, sagte Tweed beiläufig.
»Sagen wir mal so, ich schieße mir nicht gerade in den Fuß damit«, erwiderte Lisa kichernd. Sie griff nach dem Glas Champagner, das Tweed ihr hingestellt hatte. »Und mit einer Walther und einer Browning bin ich ebenso vertraut.«
»Wo haben Sie das alles gelernt?«
»Eigentlich aus Zufall. Ich hatte einen Freund, der Waffennarr war. Er hat mich in einen Sportschützenclub in London mitgenommen, um mir zu zeigen, wie gut er schießen konnte.
Dabei war er nur ein mittelmäßiger Schütze. Als er mir aber seine Beretta gab, habe ich auf Anhieb sechsmal ins Schwarze getroffen und dreimal nur knapp daneben. Mein Freund meinte, das wäre nur Anfängerglück, also habe ich es noch mal probiert.
Diesmal habe ich fünfmal ins Schwarze getroffen und einmal knapp daneben. Wir sind also zurück in meine Wohnung in der Ebury Street und hatten einen entsetzlichen Streit. Er konnte es wohl nicht verwinden, dass eine Frau besser schießen konnte als er. Das war das Ende unserer Beziehung. Männer, sage ich dazu nur.«
»Und jetzt arbeiten Sie für Rhinozeros?«
Lisa kicherte abermals, schlug die Beine übereinander und nahm einen Schluck Champagner.
»Bei einem Verhör muss man sich den Tiefschlag immer bis zum Schluss aufsparen«, sagte sie und schaute Tweed tief in die Augen. »Nur zu ihrer Information, Mr. Tweed, ich habe nicht die geringste Ahnung, für wen ich arbeite. Aber ich werde gut bezahlt, und ich glaube, dass die Sache auch meinen Einsatz wert ist.«
»Was meinen Sie damit?«
»Ich bin mir sicher, dass zwei starke Kräfte miteinander im Wettstreit sind. Die eine ist gut und die andere sehr böse. Ich kämpfe auf der guten Seite, wie man so schön sagt.«
Tweed zündete sich eine Zigarette an, was er nur sehr selten tat. Endlich wurde seine Hypothese von den zwei Lagern von jemand anderem bestätigt. Er sah Lisa durchdringend an, die sich mit verschränkten Armen in seine Richtung beugte und wartete.
»Haben Sie schon einmal von Rhinozeros
gehört?«,
fragte er schließlich.
»Ja. Ich habe zufällig mitbekommen, wie sein Name genannt wurde. Aber ich weiß weder, wer er ist, noch, wo er sich aufhält.«
»Wie erhalten Sie Ihre Instruktionen und Ihr Geld?«
»Man schiebt mir Umschläge unter der Tür durch. In denen finde ich mit Schreibmaschine geschriebene Blätter, auf denen steht, was ich zu tun habe. Das fing in meiner Wohnung in der Ebury Street an. Auf den Blättern stand zum Beispiel, zu welcher Zeit ich mich in einer bestimmten Telefonzelle in der Waterloo Station einzufinden hätte. Dort hat mich dann ein Mann namens Olaf angerufen, einer, der sehr langsam spricht und jedes Wort gesondert betont. Manchmal spricht er Deutsch, manchmal Englisch.«
»Ich frage mich, wie dieser Olaf wohl auf Sie gekommen ist«, sagte Tweed und blies einen Rauchring.
»Keine Ahnung. Aber mit meinen guten Abschlüssen in zwei Fremdsprachen, meiner Erfahrung als Stewardess und als Mitarbeiterin einer Sicherheitsfirma eigne ich mich recht gut für diesen Job.«
»Das bezweifle ich nicht«, sagte Tweed, während er aufstand und in die Hände klatschte. »Und, ehrlich gesagt, ich finde, dass dieser Olaf mit Ihnen eine gute Wahl getroffen
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