Das Intercom-Komplott
mußten – auch die Falschmeldungen des Gegners konnten auf seine wahren Absichten schließen lassen –, bedeuteten sie für die Nachrichtendienste eine ständige Quelle von Mehrarbeit und Unannehmlichkeiten.
»Woher kommt eigentlich dieser Theodore Carter?« fragte Jost. »Etwa aus einer dieser Papierfabriken?«
»Das gerade nicht. Aber sein Vorgänger bei Intercom . Felix Kortan, vielleicht erinnern Sie sich noch an ihn. Ein in Amerika aufgewachsener Ungar, der nach dem Krieg in Wien arbeitete, gab sich als Rußland-Experte aus. Aber sogar Novak merkte, was mit ihm los war. Carter kann man wohl für etwas besser halten. Ich habe einen ziemlich genauen Bericht über ihn gelesen.«
»Ich würde diesen Bericht gern auch einmal sehen.«
»Das Wichtigste läßt sich mit wenigen Worten sagen.« Brand kniff die Augen zusammen. »Carter, Theodore. Keine weiteren Vornamen. Fünfundfünfzig Jahre. Kanadier, in Montreal geboren. Dort und in Frankreich aufgewachsen. War mit einer Französin verheiratet, ist jetzt geschieden. Eine Tochter, Valerie, dreiundzwanzig Jahre alt, lebt bei ihm, arbeitet als Bibliothekarin an der Genfer Universität. Den größten Teil seines Lebens war Carter Journalist. Er spricht Französisch ebenso gut wie Englisch; Deutsch und Italienisch passabel. Seine beste Zeit – darunter verstehe ich jene Periode, in der er sich wie ein mehr oder weniger erzogener Mensch benahm und am wenigsten trank – waren die sechs Jahre vor seiner Scheidung. Er arbeitete im Pariser Büro einer englischen Nachrichtenagentur, später in der Pariser Nachrichtenredaktion einer amerikanischen Radio- und Fernsehgesellschaft.«
»Ist er Alkoholiker?«
»Kein Alkoholiker, aber doch ein schwerer Trinker. Der Bericht beschreibt ihn als gerissen, als einen Mann, der zweifellos etwas kann, dem es aber Spaß macht, seine Fähigkeiten zu mißbrauchen.«
»Und, während er sich selbst bemitleidet, trinkt. Ich verstehe. Ist er tatsächlich extremer Antikommunist?«
»Ich nehme eher an, daß er extrem gegen alles sein kann, wenn man ihn nur gut genug bezahlt. Es war in der Tat unmöglich herauszubekommen, ob sich seine politischen Ansichten von denen seiner Brötchengeber unterscheiden. Und da es den Anschein hat, daß Novak ihm ohne jede Einschränkung vertraute, ist er zweifellos fähig, überzeugend zu wirken, wenn es ihm angebracht erscheint.«
»Hat man je versucht, diesen Mann für sich zu gewinnen?«
»Ich glaube, die CIA warf ein Auge auf ihn, als er für die amerikanischen Radioleute in Paris arbeitete. Das machen sie jedenfalls in der Regel so. Aber wahrscheinlich wurden sie durch seine Trinkerei abgeschreckt. In meinem Bericht allerdings war nichts darüber zu entdecken.« Brand wartete einen Augenblick, ehe er fortfuhr: »Sind Sie mit Ihrem Teil der Vorbereitungen fertig?«
»Innerhalb kürzester Zeit kann es soweit sein.« Jost sah nach vorn. Sie näherten sich jetzt der Anlegestelle Ouchy-Lausanne, und in wenigen Minuten würde er sich von seinem Freund verabschieden müssen. »Ich glaube, ich werde mich noch weitere vierundzwanzig Stunden in der Schweiz aufhalten«, sagte er.
»In Genf?«
»Ich möchte alles mit eigenen Augen sehen.« Jost zögerte. »Für Carter könnte es ein wenig brenzlig werden.«
Brand verzog seine Lippen zu einem spöttischen Grinsen. »Das wird ihm nichts ausmachen, wenn es ein wenig brenzlig wird. Immerhin muß er in seinem Beruf stets mit dieser Nebenwirkung rechnen.«
»Natürlich, aber wir haben uns noch nie darüber unterhalten.«
»Wozu wäre das auch gut?« Nun, da alles Wesentliche gesagt war, schien Brand zu ermüden. »Wenn wir erst einmal angefangen haben, wird es auch für Carter gefährliche Augenblicke geben. Das müssen wir in Kauf nehmen, dagegen läßt sich nichts tun. Wir können ihn nicht beschützen.«
»Nein, selbstverständlich nicht. Es wäre sogar verrückt, es zu versuchen. Aber vielleicht sollten wir ihn doch warnen.«
»Unmöglich. Einen Mann wie ihn? Er würde ganz einfach kündigen. Und unser ganzer Plan wäre torpediert.« Brand holte tief Luft. »Nein, es ist letztlich ein kalkulierbares Risiko. Er muß seine Chance wahren. Es mag unangenehm für ihn werden, aber es wird bald ausgestanden sein. Man wird bald feststellen, daß er nichts weiß, daß er vollkommen unschuldig ist.«
Jost sah in das graue, müde Gesicht seines Freundes und kam zu dem Schluß, daß es besser sei, nichts mehr zu sagen. Außerdem wäre ohnehin keine Zeit mehr
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