Das Intercom-Komplott
meines Zuständigkeitsbereichs.
Die Berichte über Verkehrsunfälle und andere wichtige Vorkommnisse gehen in der Regel an die diensthabenden Reviervorsteher; eine Zusammenfassung dieser im Laufe der Nacht eingegangenen Meldungen erhalte ich jeden Morgen bei Dienstbeginn. Bei Kapitalverbrechen – auch wenn sie nur vermutet werden – ist es dagegen selbstverständlich, daß man mich ohne Rücksicht auf die Tageszeit telefonisch unterrichtet. Wegen offenbar unbedeutender Vorkommnisse wie dem, um das es hier geht, werde ich natürlich nicht gestört.
Als ich am Morgen des 17. Dezember den Namen Theodore Carters in den Berichten sah, ersuchte ich sofort um eine genauere Unterrichtung. Wie Ihnen offensichtlich bekannt ist, war ich diesem Mann schon zuvor begegnet, und es erschien mir angebracht, daß Polizei und Ausländeramt in diesem Fall zusammenarbeiten sollten.
Die schwerwiegendsten Vorwürfe, die zu diesem Zeitpunkt gegen ihn erhoben wurden, waren Trunkenheit am Steuer und Gefährdung des Straßenverkehrs. Dem Bericht nach gab es drei Unfallzeugen; einer von ihnen wäre von Carters Wagen fast getroffen worden, als dieser von der Fahrbahn abkam. Zur Unfallzeit befand sich eine Funkstreife vor dem Bahnhofsgebäude; anderthalb Minuten später war sie an Ort und Stelle.
Der Streifenführer unterrichtete die Policlinique von dem Unfall und forderte für Carter einen Rettungswagen an. Carter, so sagte er, habe stark nach Alkohol und Übergebenem gerochen. Blut- und Urintests kurz nach seiner Einlieferung ins Krankenhaus bestätigten seine Beobachtung: Es wurde eine Menge von 320 Milligramm Alkohol pro 100 Milliliter Blut und 440 Milligramm Alkohol pro 100 Milliliter Urin festgestellt. Es steht somit zweifelsfrei fest, daß Carter schwer angetrunken war. Seine Verletzungen – Abschürfungen und Schnittverletzungen im Gesicht, hervorgerufen durch das gesplitterte Sicherheitsglas – schienen leichter Natur zu sein. Da er jedoch das Bewußtsein verloren hatte, hielten die behandelnden Ärzte es für angebracht, ihn zur Beobachtung so lange im Krankenhaus zu lassen, bis sich erwiesen hatte, daß seine Gehirnerschütterung keine weiteren Folgen nach sich ziehen würde.
Als Carter wieder zu Bewußtsein gekommen war, machte er zur Ursache des Unfalls eine Reihe offensichtlich unsinniger Aussagen, was man zunächst durch seine Trunkenheit zu erklären versuchte. Als er jedoch später darauf beharrte und gewaltsam versuchte, das Krankenhaus zu verlassen, vermutete man ernsthaftere Schädigungen seines Gehirns. Der behandelnde Arzt entschloß sich, einen Spezialisten der neuropsychiatrischen Abteilung zu konsultieren.
Im Lichte meiner eigenen Erfahrung mit Monsieur Carter erschien mir dies zu jener Zeit als durchaus angemessen. Ich bat darum, mich über die weitere Entwicklung in diesem Falle auf dem laufenden zu halten.
Carters Tochter war mittlerweile schon darüber unterrichtet, daß ihr Vater einen Unfall erlitten habe und im Krankenhaus liege. Als sie dort eintraf, konnte sie ihn jedoch nicht sofort besuchen, da er fest schlief.
Später dann besuchte Mlle. Carter mich in meinem Büro.
Wie Ihnen sicher nicht entgangen sein wird, ist Mlle. Carter eine sehr gut aussehende junge Frau. Ich bedauerte es zutiefst, daß ich ihrer Bitte, man möge ihren Vater noch am Vormittag dem Richter vorführen und sous caution entlassen, nicht entsprechen konnte. Sie selbst sei, so sagte sie, bereit, die erforderliche Summe zu stellen.
Ich erinnerte sie daran, daß die Beschuldigungen gegen ihren Vater schwerwiegend waren, daß ein Verhandlungstermin nicht vor Montagvormittag möglich sei und ihr Vater ohnehin nicht aus dem Krankenhaus entlassen werden könne. Ich sagte ihr außerdem, daß die Entscheidung über weitere polizeiliche Maßnahmen erst dann getroffen würde, wenn das Gutachten des Psychiaters vorlag.
Darauf wurde sie widerborstig. Es war wirklich kein leichtes Gespräch. Die jungen Leute von heute haben keinen Respekt mehr vor der Autorität. Ich versuchte, so gut es ging, ihr meine schwierige Lage zu erklären. Dabei erwähnte ich auch – möglicherweise ein wenig zu spöttisch –, ihr Vater habe seine Verletzung der Verkehrsvorschriften damit zu entschuldigen versucht, er sei zu diesem Zeitpunkt von Agenten ausländischer Nachrichtendienste gejagt und gehetzt worden.
»Und woher wollen Sie wissen, daß er nicht die Wahrheit sagte?« fragte sie mich.
Da ich eine Antwort für sinnlos hielt, zuckte ich nur mit den
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