Das Internat
anzuziehen.
Sie ging etwas schneller, ihre Gedanken auf den Fall Broud und all seine faszinierenden Widersprüche gerichtet. Ursprünglich hatte der Fall viel Aufsehen hervorgerufen, teilweise auch wegen der wilden Behauptungen des Verdächtigen. Die Presse hatte sich auf die Vorstellung eines Sexrings gestürzt und wild spekuliert. Aber als die Verhandlung erst einmal in Gang war, beendete der Richter dieses Treiben, indem er eine Informationssperre verhängte und die Öffentlichkeit von der Verhandlung ausschloss.
Einige der frühen Artikel erwähnten Miss Rowes Videoausrüstung und unterstellten, dass sie für illegale Zweige benutzt worden sei. Alles, was Mattie las, bestätigte Tansy Blacks Worte. Weder die Verteidigung noch die Anklage waren auf die Videobänder eingegangen. Black hatte gesagt, dass man Broud für unglaubwürdig gehalten habe und dass die Verteidigung ihn deshalb keine Aussage vor Gericht habe machen lassen. Mattie glaubte vielmehr an eine Verschwörung und fragte sich, wie groß dieser Komplott gewesen war und ob die Verteidigung damals dazugehört hatte.
In keinem der Artikel fand sie einen Hinweis auf das verschwundene Band – was bedeuten könnte, dass Miss Rowe es vor ihrer Ermordung beseitigt hatte oder dass jemand von der Spurensicherung es hatte mitgehen lassen. Mattie musste mit Frank O'Neill sprechen, dem Staatsanwalt. Sie hatte ihm am Nachmittag eine Nachricht hinterlassen, aber dabei absichtlich nicht erwähnt, dass sie Bundesrichterin sei. Seinem Assistenten hatte Mattie erzählt, dass sie eine ehemalige Anwältin sei. Und dabei beließ sie es.
Es war nicht unüblich, dass Richtern von Matties Rang so viel Respekt entgegengebracht wurde wie etwa einem Senator. Diese Art Aufmerksamkeit konnte Mattie jetzt nicht brauchen. Sie musste unauffällig vorgehen. Dem Staatsanwalt gegenüber den Vorgesetzten rauszukehren, würde dabei wenig hilfreich sein.
Mattie schaute zu den Straßenlaternen hoch, während sie weiterging. Jemand sollte mit der Stadt über die Beleuchtung dieses Weges sprechen. Mattie konnte kaum sehen, wo sie hintrat. Als sie den Parkplatz erreichte, nahm sie wahr, dass jemand rannte. Die schnellen Atemzüge und die weichen Schritte schienen sich ihr von hinten zu nähern. Ihr Herz setzte zu einem schmerzhaften Sprint an, wollte auch sie zum Rennen zwingen, doch es war zu spät. Irgendwo in ihrer Tasche hatte sie Pfefferspray, aber auch das nützte jetzt nichts mehr.
Sie wirbelte herum, auf alles vorbereitet.
Geschockt stellte sie fest, dass der Weg leer war. Der Parkplatz auch. Es musste das Rauschen des Windes in den Bäumen gewesen sein. Niemand da. Trotzdem raste ihr Puls, und sie fühlte sich unsicher. Sie wollte einen Satz in das Auto machen, als sie jemanden auf sich zukommen sah. Eine Frau.
Mattie zögerte, irritiert von dem Verhalten der Frau. Auf ihrem schmalen Gesicht zeichnete sich ein eingefrorenes Lächeln ab, und sie schien direkt auf Mattie zuzugehen. Sie war so dünn wie ein Model und sehr modisch gekleidet, und trotzdem hatte sie etwas Bedrohliches an sich. Vielleicht war es das kurze, abstehende blonde Haar. Oder ihre Bedächtigkeit.
"Mattie Smith, nicht wahr? Wie geht es dir?"
Sie griff nach Matties Hand und drückte sie heftig.
Mattie zwang sich krampfhaft, zu lächeln. "Mir geht es gut, vielen Dank der Nachfrage."
"Was führt dich zurück nach Tiburon? Du bist doch schon vor einiger Zeit weggezogen, oder? Nach San Francisco?"
Offenbar kannte die Frau sie, aber Mattie konnte sie nicht einordnen. Sie hatte etwas seltsam Vertrautes an sich. Mattie war so viele Jahre weg gewesen, und bei dem schwachen Licht war es schwierig, etwas zu erkennen.
"Da arbeite ich", erwiderte Mattie.
"Das muss toll sein." Sie seufzte, als sei es ihr ultimativer Traum, in San Francisco zu arbeiten. "Besuchst du jemanden? Ich wusste nicht, dass du hier Verwandte hast."
"Habe ich auch nicht. Ich bin zum Teil geschäftlich hier."
"Oh, gut. Hast du unserer gammligen alten Schule einen Besuch abgestattet?"
"Nein, ich bin nur …" Plötzlich begriff Mattie, mit wem sie es hier zu tun hatte. Sie unterhielt sich mit der Frau, die ihr in der Schule die Seele aus dem Leib geprügelt hatte: Lane Davison, die Anführerin der Todesschwadron.
"Lane?"
"Natürlich. Lane. Was hast du denn gedacht?"
Mattie zog die Hand zurück – und fragte sich, ob sie der bösen Hexe damit direkt eins überziehen sollte. "Das ist doch absurd."
"Ja, nicht wahr? Was hast du in der
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