Das Internat
war geräumig und durchgestylt. Mattie konnte nicht sehen, was sich hinter der Milchglasscheibe befand, die das Schlafzimmer begrenzte. Vermutlich ein weiterer riesiger Raum.
Seltsam, wie sicher sie sich hier fühlte, auch wenn die Tatsache, dass jemand sie umbringen wollte, Mattie unbegreifbar war. Beide Angriffe hatten nach ihrem Treffen mit Lane Davison stattgefunden. Zufall? Wahrscheinlicher war, dass es etwas mit ihrem Besuch bei Nola Daniels zu tun hatte. Besonders weil Nola Daniels ihr die Information beinah aufgedrängt hatte, dass der Amtsarzt im Krematorium verbrannt werden sollte. Und der verstohlene Blick des Polizeichefs, den Mattie im Aufbruch wahrgenommen hatte, war ihr komisch vorgekommen.
Während sie sich in die Decke kuschelte, dachte Mattie weiter über die Angriffe nach. Wer auch immer sie das erste Mal angegriffen hatte, er war jetzt verletzt. Sie hatte ihn so heftig am Knie erwischt, dass er davongehumpelt war. Sie würde wohl keine Gelegenheit bekommen, sich Jamesons Knie anzusehen, aber er bewegte sich ganz normal. Erleichtert atmete Mattie auf. Vielleicht war sie doch nicht dem Feind in die Falle getappt.
Sie überlegte, ob sie die Mailbox ihres Handys abhören sollte. Am Vortag hatte Mattie Frank O'Neill eine Nachricht hinterlassen. Ob er sich gemeldet hatte? Außerdem musste Mattie sich danach erkundigen, was im Büro los war. Bei Jane und Breeze sollte sie sich auch melden, um ihnen zu sagen, dass sie am Ball geblieben sei. Bis zu diesem Moment hatte sie noch keine Zeit gehabt, sich über ihren nächsten Schritt Gedanken zu machen. Jetzt würde sie sich ohnehin erst mal entspannen und alles vergessen, soweit das möglich war.
Ihren Gastgeber beim Kochen zu beobachten war eine interessante Ablenkung. Es überraschte Mattie nicht, dass er sich damit auskannte. Die Gerüche, die zu ihr herüberwehten, waren köstlich. Sie nahm den feinen Duft von Safran und heißer Hühnerbrühe war. Machte er ein Hühnchengumbo? Der kochende Zitronensaft verbreitete eine scharfe Süße, die ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ.
Ein Teil von ihr wollte glauben, dass Cross die Sorge um ihr Wohlergehen nicht vortäuschte, trotz allem, was geschehen war. Aber es erschien Mattie immer noch zu riskant, ihn ins Vertrauen zu ziehen. Warum dachte sie überhaupt daran?
Vielleicht hatte er ihr das Leben gerettet. Doch deshalb waren sie nicht automatisch Freunde. Und trotzdem gab es eine Art Band zwischen ihnen, das musste sie zugeben. Dass sie ihn weder klar als Freund noch als Feind betrachten konnte, machte ihn gefährlich.
Er schien seine Unterstützung anzubieten, und sie brauchte jede Hilfe, die sie bekommen konnte. Aber konnte sie bei ihrer Mission auf Jameson Cross zählen? Er wollte Gerechtigkeit für den Mörder seines Bruders. Und er
hatte
ihr geholfen. Um sich zum Richter über Schuld und Unschuld aufspielen zu können? Sein Misstrauen Mattie gegenüber saß tief.
Ihr ging es umgekehrt genauso. Sein Bruder war das schwarze Schaf der Familie gewesen. Er und Jameson hatten sich nicht nahegestanden. Trotzdem wollte Jameson seinen Bruder rächen … Es war sogar möglich, dass er die zwei Mordversuche an Mattie inszeniert hatte, damit er ihr das Leben retten und so ihr Vertrauen gewinnen konnte.
Weit hergeholt, aber möglich.
Sie zog die Decke noch enger um sich und beobachtete Cross.
Wenn Mattie ehrlich war, wusste sie nicht, ob sie ihm jemals würde trauen können. Und dabei ging es nicht einmal um ihn oder ihre besondere Situation. Seit früher Kindheit hegte Mattie ein tiefes Misstrauen gegen das männliche Geschlecht. Ihre Mutter war wie eine welke Rose gewesen, die zu früh erblüht war. Auf die denkbar schlechteste Art hatte sie ihren Sexappeal eingesetzt. Die Männer in ihrem Leben hatten sich brutal und machtbesessen benommen – Matties Vater eingeschlossen: ein LKW-Fahrer, der verschwunden war, bevor Mattie zu krabbeln gelernt hatte.
Lela Smith hatte für eine Männergeschichte ihr eigenes Kind aufgegeben, als Mattie vier war und er ein ungesundes Interesse an ihr zeigte. Mattie wurde daraufhin zu ihrer alleinstehenden Tante abgeschoben, deren unerschütterliche feministische Ansichten sie im Laufe der Jahre annahm. Bevor sie an die Rowe-Akademie kam, hatte Mattie Spaß am Lernen, überall gute Noten und Auszeichnungen gehabt – und Jungs genauso konsequent ignoriert wie die viel zu hübschen Gesichtszüge, die sie von ihrer Mutter geerbt hatte.
Schönheit hatte sie als etwas
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