Das Internat
Gefährliches betrachtet. Sowohl ihre Qualen im Internat als auch Ivys Tod hatten Mattie das bestätigt. Dass Männer die Verletzlichkeit einer Frau lieben könnten und sie sie deshalb beschützen wollten, daran glaubte Mattie nicht. Sie hatte beschlossen, sich selbst so zu schützen, wie es am sinnvollsten war. Von niemandem wollte sie abhängig sein.
Es hat sich nicht viel verändert, überlegte Mattie jetzt, außer dass es mit achtunddreißig schwieriger ist, die Umwelt – und sich selbst – davon zu überzeugen, dass man das andere Geschlecht nicht braucht. Und Jimmy Broud, dessen Augen sie an den Himmel in der Abenddämmerung erinnerten, war kein schüchterner Junge mehr.
"Ich hoffe, du magst Salmagundi", sagte Jameson.
Kein Gumbo, aber dicht dran. Salmagundi war eine scharfe Hühnerbrühe mit Frühlingsgemüse und Würstchen. "Ich liebe es."
Er hielt ein Tablett in Händen und wartete, bis Mattie sich aufgesetzt hatte, bevor er es ihr auf den Schoß stellte. Er hatte ihr einen Topf Suppe gebracht, einen Becher heiße Zitrone und einen kleinen Laib saftiges Pumpernickelbrot, dampfend und mit Rosinen gespickt. Die eisgekühlte Flasche Bier musste für ihn gedacht sein.
Beim Anblick der Suppe verspürte Mattie einen Bärenhunger und aß, bis sie keinen Bissen mehr herunterbekommen konnte. Jameson schien sich darüber zu amüsieren, während er zusah und dabei an seinem Bier nippte.
Die Suppe war göttlich, und Mattie wäre gern bereit gewesen, an einem Zuviel des warmen Rosinenbrots zugrunde zu gehen. Sie mochte sich gar nicht vorstellen, wie es mit Frischkäse bestrichen geschmeckt hätte.
Kurze Zeit später schob Mattie das Tablett mit zufriedenem Gesichtsausdruck weg. Gegen ein Lächeln anzukämpfen, hatte sie aufgegeben.
"Köstlich, vielen Dank. Kann ich jetzt meine Kleider bekommen?"
Jameson nahm das Tablett und stellte es auf die Kommode. "Ruh dich erst einmal aus", schlug er vor. "Du bist müde. Ich sehe ja, dass dir die Augen schon fast zufallen."
Der sanfte tiefe Ton, in dem Jameson zu ihr sprach, hätte fast seine Aufgabe erfüllt. Mattie war wirklich müde. Sie fühlte sich, als hätte sie sich zusammenrollen und einen Winterschlaf halten können. Aber sie musste Anrufe tätigen und sich einen Plan überlegen. In Jameson Cross' Schlafzimmer konnte sie das nicht, so verlockend die Vorstellung auch war. Mattie musste sich ins Gedächtnis rufen, dass er ein Feind war. Wenn es nur um sie ginge, könnte sie vielleicht bleiben. Doch ihre Freundinnen zählten auf sie, und sie konnte kein Risiko eingehen.
"Ich muss gehen", sagte sie und bemühte sich um eine feste Stimme. "Ich werde mich in meinem Hotelzimmer einschließen und die Sicherheitskräfte alarmieren. Wenn das nicht funktioniert, lege ich mir einen Leibwächter zu, okay?"
"Wenn das nicht funktioniert, könntest du tot sein."
"Hör auf mit deinen Detektivgeschichten."
Vorsichtig rutschte Mattie an den Rand des Bettes und freute sich über die Kraft, die sie spürte. Schützend schlang sie die Decke um sich, aber als ihre Füße den Boden berührten, hörte sie ein knirschendes Geräusch.
"Scheiße", sie keuchte vor Schmerzen auf. Ihr Knie musste behandelt werden. Schon eine kleine Belastung tat weh. Mattie warf einen abschätzenden Blick zum Badezimmer und fragte sich, ob sie so weit humpeln könnte. Sie würde kriechen müssen, wenn sie dorthin wollte.
Die Decke erschwerte jede Bewegung. Deshalb knautschte Mattie sie an einer Stelle zusammen und hielt sie an anderer Stelle fest, so musste sie nicht nackt zum Bad gehen. Den skeptischen Blick ihres Gastgebers ignorierend, humpelte Mattie auf das Iglu aus blauem Glas zu, das etwa fünf Meter entfernt war. Sie tat, als bemerke sie nicht, dass Cross scheinbar alle negative Energie des Universums in seinen Augen bündelte, während er sie beobachtete. Mattie würde es schaffen, so oder so.
Als sie ankam, war sie außer Atem, was hauptsächlich von dem Kampf mit der Bettdecke herrührte. Jameson hatte Matties Kleidung sorgfältig über einen Korb gelegt und ihre Tasche danebengestellt. Jetzt musste sie sich nur noch anziehen.
Sie saß auf der Toilette, zog die Decke um die Schultern wie ein Zelt und begann mit der Unterwäsche. Der BH stellte die größte Schwierigkeit dar, gleich nach der Hose. Um den Stoff über die Beine zu ziehen, musste Mattie aufstehen und sich wieder hinsetzen. Sie hatte nicht geahnt, wie geschwollen ihr Knie war und wie anstrengend es sein konnte, sich
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