Das Internat
anzuziehen.
"Alles in Ordnung?"
Jamesons Stimme überraschte sie. Sie zog sich gerade den Cardigan über den dazu passenden Pulli, als Jameson plötzlich in der Tür erschien. Dass er sie so hilflos sah, wollte Mattie um keinen Preis. "Natürlich", log sie, als sie nach dem Waschbecken griff und sich festhielt. "Ich muss nur … oh!"
Ihr Knie gab nach und zwang Mattie, sich zu setzen. "Nur eine Minute."
"Ich habe eine bessere Idee", erwiderte Jameson. "Ich hole etwas Eis für das Knie. Und vielleicht finde ich auch noch eine Schmerztablette."
Sie hätte ahnen können, dass er tolle, schöne Hände hatte. Die Innenflächen waren groß und stark, die Finger lang und kräftig. Er hätte Geige spielen können. Oder Basketball. Noch nie hatte Mattie einen schöneren Jupiterhügel gesehen, der so weit entwickelt war, dass es an Arroganz grenzte. Sie musste zweimal hinschauen. Interessant, dass seine weichen Finger auf so viele körperliche Fähigkeiten hindeuteten. Und außerdem auf eine sensible Natur.
Mattie lag ausgestreckt auf Jamesons Couch im Wohnzimmer, mit reichlich Eis auf dem Knie, während sie seine Hand hielt und in ihr las.
"Werde ich hundert?" Jameson saß auf der Truhe vor der Couch, hatte sich zu Mattie hinuntergebeugt und sah nun dabei zu, wie sie sich in die Deutung seiner Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft versenkte.
"Mal sehen", murmelte sie.
An die Handlesekunst hatte Mattie nie ernsthaft geglaubt. Ihre Mutter hatte sie benutzt, um mit den Hoffnungen und Ängsten anderer Leute Geld zu verdienen, und Lela Smith war besonders geschickt bei Männern gewesen. Sie hatte es geschafft, sie in Idioten zu verwandeln, indem sie die Liebeslinien mit ihren glänzend roten Fingernägeln nachzeichnete und ausrief, was für wunderbare Liebhaber sie sein müssten.
Vielleicht hatte Mattie deshalb eingewilligt, als Jameson sie gebeten hatte, aus seiner Hand zu lesen. In einem schwachen Moment hatte sie gedacht, es würde ihr irgendeinen Vorteil verschaffen. Natürlich hatte er nicht nach seiner Liebeslinie gefragt. Fast wünschte Mattie sich, er hätte es getan.
"Deine Uhr ist abgelaufen."
"Woran siehst du das?"
Sie zeigte auf die Unterbrechung der Lebenslinie und erklärte, dass das nicht unbedingt den Tod bedeute. Ihm stünden große Veränderungen bevor. "Aber es könnte natürlich auch heißen, dass du stirbst."
Seine lavendelgrauen Augen musterten sie. "Das hast du mir gern erzählt, oder?"
"Natürlich nicht."
"Sag mir die Wahrheit. Wenn ich morgen von einem Auto überrollt werde, täte es dir nicht leid."
Sie würde den Jungen vermissen, der die Vorräte ausgeliefert hatte – und der gerufen hatte, dass er nur wissen wolle, wer sie sei. Aber das sagte sie ihm nicht.
"Du verweigerst die Aussage? Kann ich in diesem Fall noch eine Frage zum Handlesen stellen?"
Sie zuckte teilnahmslos die Achseln. Das schuldete sie ihm wahrscheinlich.
"Wenn ich mir deine Hände ansehe, würden sie mir verraten, was du gestern im Krematorium gemacht hast?"
Mattie richtete den Eisbeutel auf ihrem Knie und ließ sich Zeit mit der Antwort. Sie waren ins Wohnzimmer gegangen, weil Mattie auf einem Ortswechsel bestanden hatte. Sie hatte lang genug in seinem Bett gelegen. Und er hatte sich das Hemd zugeknöpft. Auch darauf hatte sie bestanden.
"Noch eine Verweigerung der Aussage?"
"Glücklicherweise muss ich das nicht", sagte sie. "Das hier ist kein Gericht und ich muss nicht antworten. Aber, da du gefragt hast, sage ich dir, dass ich etwas gesucht habe. Und dabei belassen wir es."
Aufmerksam sah er sie an. "Ein Video vielleicht? Das Band, das in Miss Rowes Lehrsammlung fehlt?"
Mattie atmete tief ein. "Wie kommst du darauf, dass eines fehlt?" Gott sei Dank versagte ihr die Stimme nicht. Um zu erfahren, was er wusste, musste Mattie das Spiel mitspielen. Er war also auch auf der Suche nach der Aufzeichnung, was ein interessantes Dilemma für Mattie darstellte. Wenn die Männer aus dem Sexring auf dem Band zu sehen waren, konnten auch die einsamen Mädchen gefilmt worden sein. Das bewies zwar nicht, dass sie jemanden getötet hatten, Jane wäre trotzdem ruiniert.
"Es stand in den Notizen meines Bruders", erklärte Cross. "Er behauptete, dass die Direktorin einen Sexring geleitet habe und dass das fehlende Band es beweisen würde. Es soll angeblich ihre privaten Sozialstudien zeigen. Das würde ich mir gern mal ansehen."
Er ließ den Gedanken im Raum stehen. "Ich kann mir vorstellen, dass du das auch gern
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