Das Internat
zusammengenagelt. Oh, scheiße."
Matties Arme flatterten wild hin und her, wie bei einem Vogel, der verzweifelt versucht, in der Luft zu bleiben. Dank Janes Ruf kam Mattie auf der Planke schwankend zum Stehen, aber sie konnte nicht sehen, wohin sie trat. Eine Augenbinde versperrte ihr die Sicht, und die Planke war schmal. Einen Fuß vor den anderen setzen, mehr konnte sie nicht tun. Am schlimmsten war die Gewissheit, dass sie fallen würde. Unter Mattie lag ein zehn Meter tiefer Abgrund über einem Zementboden. Sie würde zerplatzen wie eine Wassermelone.
Sie tastete sich mit dem Fuß nach links und spürte nichts als Luft.
"Zu weit!", kreischte Breeze.
Mit den Armen fuchtelnd, torkelte Mattie zurück. Jane schrie ihr zu, sie solle stehen bleiben, während Breeze rief, sie solle weitergehen. Mattie konnte keiner der Aufforderungen folgen, nur schwanken wie ein Seiltänzer.
"Haltet den Mund", befahl sie beiden und versuchte, sich zu konzentrieren.
Augenblicke später hatte sie den Fuß auf die Planke gesetzt, doch Schweiß lief ihr über das Gesicht und durchweichte die Augenbinde. Matties Beine zitterten. Dies war die dümmste Idee, die sie je gehabt hatte. Eine Mutprobe und ein Vertrauensbeweis für ihre Freundinnen hatte es sein sollen. Das Baugerüst zu überqueren, das das alte Residenzgebäude stützte, so etwas hätte auch Artemis ihren Jüngerinnen abverlangt. Nur waren die Sanierungsarbeiten vor Jahren abgebrochen worden, und das Baugerüst war genauso klapprig wie das Gebäude. Schlimmer noch, weil Mattie auf die Idee gekommen war, musste sie als Erste gehen.
Ihre Freundinnen standen auf den gegenüberliegenden Seiten der drei Meter langen Brücke und gaben Anweisungen, wie Mattie hinüberkäme. Über die Planke zu gehen, kostete nicht viel Mut, wurde Mattie klar. Den anderen zu vertrauen, dass sie sie nicht aus Versehen ins Jenseits beförderten, dagegen schon.
"Versuch es noch mal", rief Breeze und versuchte, Mattie auf ihre Seite zu locken. "Dreh deinen Körper zuerst nach links, und dann geh vorwärts."
"Mattie, komm zurück", flehte Jane von hinten. "Es ist zu gefährlich."
Jane war näher, trotzdem traute sich Mattie nicht, sich umzudrehen. Sie blendete die Stimmen aus, beide, und konzentrierte sich auf den Schritt. Darin war sie gut, sie konnte etwas visualisieren, das Ziel treffen. Langsam veränderte sie die Haltung, fand das Gleichgewicht wieder und schickte ein Gebet an die Schutzheilige junger Mädchen.
"Du machst das gut", rief eine von beiden. "Geh weiter!"
Mit ausgestreckten Armen, um das Gleichgewicht zu halten, wog Mattie in Gedanken ab, ob sie sich umdrehen sollte. Sie sah es vor sich. Doch als sie den Fuß aufsetzen wollte, war die Planke nicht da. Mattie schwankte in der dünnen Luft, und sie fiel nach vorn, in einem Sturzflug.
Der Wind pfiff in ihren Ohren und riss an ihrer Kleidung. Mattie konnte den Zementboden nicht sehen, auf den sie zustürzte, aber sie konnte bereits spüren, wie er ihre Knochen zerbrach. Das Schreien, das sie hörte, kam von oben, von Jane und Breeze, ihre panischen Schreie übertönten das Keuchen, das sich Matties Kehle entringen wollte.
* * *
Das Weiße Haus
Heute
Die Hände fest auf den Rand des Porzellans gepresst, beugte sich Mattie über das Waschbecken. Das Wasser strömte aus dem Hahn, sodass niemand auf die Idee kommen könnte, dass sie um ihre Fassung ringen musste. Mattie stand im Badezimmer, das unmittelbar an Janes Schlafzimmer in den Privaträumen des Weißen Hauses grenzte. Noch bevor Jane die Bombe platzen lassen konnte, war Mattie direkt nach ihrer Ankunft hineingeschlüpft.
Sie warteten darauf, dass Mattie zu ihnen kommen würde, aber sie war sich nicht sicher, dass sie das konnte. In den letzten Tagen war Mattie nonstop auf Reisen gewesen und nun bis auf die Knochen erschöpft. Auf dem Flug nach Washington hatte die Müdigkeit sie schlagartig erwischt, mit einer Macht, die sie nicht erwartet hatte. Jetzt brauchte sie alle Kraft, um sich auf den Beinen zu halten. Matties Reserven waren aufgebraucht. Die paar Stunden in Breezes Suite hatten nicht ausgereicht, um sie für das zu wappnen, was vor ihr lag – oder auch nur das, was sie außerhalb des Bads erwartete.
Dass Jane ebenfalls kurz vor einem Zusammenbruch stand, hatte Mattie Sekunden nach ihrer Ankunft bemerkt. Sogar Breeze hatte bei Janes Anblick geschwiegen. Und Mattie besaß nicht mehr die Energie, um auch nur eine von ihnen zu trösten. Sie konnte sich nicht einmal
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