Das Internat
seit ein paar Wochen arbeitete er an diesem Fall. Die Nachricht von Brouds Entlassung hatte sein Interesse wieder geweckt. Bisher war er nur noch nicht an die Mitschrift der Verhandlung oder an die ursprünglichen Polizeiberichte gekommen. Sie wurden seit der ersten Verhandlung unter Verschluss gehalten. Nur die Anwälte, die über die Jahre an Brouds Fall gearbeitet hatten, durften die Unterlagen einsehen. Jameson hatte Kontakt zu der jungen Frau aufgenommen, die Brouds Freilassung arrangiert hatte, aber Tansy Black wollte ihn nicht treffen, weil das den Wünschen ihres Klienten nicht entspräche.
Am Telefon war sie nicht unfreundlich gewesen. "Es ist nichts Persönliches", hatte sie gesagt, "aber William hat mich gebeten, über diesen Fall nicht mit der Presse zu sprechen."
Jameson hätte behaupten können, zur Familie zu gehören. Aber dann hätte sie vermutlich aufgelegt. Also hatte er ihr schamlos eine ausführliche Erwähnung in seinem Buch angeboten, doch sie hatte den Köder nicht geschluckt.
Die Strahlen der heißen Nachmittagssonne fielen auf ihn durch das Oberlicht, das sich über die gesamte Länge des gewölbten Lagerhausdaches zog. Wegen der Wolken hatte er heute Morgen einen Regenmantel angezogen, aber das Wetter hatte ihn in die Irre geführt – genau wie sein Fall. Er schien schwieriger zu knacken zu sein als der Tresorraum einer Bank. Obwohl der Mord dreiundzwanzig Jahre zurücklag, war es unmöglich, an Informationen zu kommen, die eigentlich verfügbar sein sollten – und das nicht nur, weil der Fall abgeschlossen war. Man hatte Broud vor all den Jahren als verrückt abgetan, als er von Verschwörung und Verschleierung gesprochen hatte. Jetzt allerdings wirkten seine Theorien auf Jameson nicht mehr ganz so unglaubwürdig.
Immer noch tief in Gedanken versunken, kickte Jameson seine Ledersandalen von den Füßen, ließ sie auf dem Schieferboden des Eingangsbereiches liegen und öffnete den Verschluss seiner glänzenden Stahlarmbanduhr. Bis jetzt hatte er sich auf alte Zeitungsausschnitte, Artikel aus Zeitschriften und die Jahrbücher aus der Schulbibliothek gestützt. Er hatte das Glück, dass die Medien sich damals stark für Millicent Rowe und ihre prominente Familie interessiert hatten. Mr. Rowe war der Senator eines Bundesstaates gewesen. Jameson hatte außerdem die Mitglieder der Fakultät, der Stiftung und die Mitarbeiter im Internat befragt. Jeden, der an dem Tag in der Nähe gewesen war, hatte er mit Fragen gelöchert.
Keiner kannte die Identität der einsamen Mädchen. Die meisten hatten behauptet, nie von ihnen gehört und nur in den Artikeln, die Jameson gefunden hatte, etwas über diese Mädchen gelesen zu haben. Aber es gab das Gerücht, dass die Mädchen Stipendiatinnen des Grace Scholarships gewesen waren – eine kleine Gruppe von Schülerinnen, die sich zusammengetan hatten und die bei den anderen als seltsame Außenseiterinnen galten.
Durch einige harmlose Winkelzüge hatte Jameson Zeugniskopien von dreien der Mädchen erhalten, und ihre Noten waren außergewöhnlich gut gewesen. Eine hatte sich in der Schule besonders hervorgetan, speziell in Alter Geschichte und Naturwissenschaften: Matilda Smith. Mattie. So hatten die anderen Schülerinnen sie genannt.
Seltsam, dass er sich nicht an sie erinnern konnte. Jameson rieb sich den Nacken und stellte fest, dass er schwitzte.
Er griff mit den Händen nach hinten, um den Kragen des gelben Pullovers zu packen und ihn über den Kopf zu ziehen. Die Dehnung tat gut. Zu selten nutzte er den Fitnessraum, den er extra in das Lagerhaus hatte bauen lassen. Weil das Gebäude so riesig war, hatte Jameson es gekauft. Das gewölbte Dach hatte er aufreißen und das gigantische Oberlicht einsetzen lassen, weil es keine Fenster gab. Das Resultat war so überwältigend, dass Jameson keine Fenster mehr brauchte.
Morgens strahlte die Sonne von Osten herein, das Licht bewegte sich durch die Räume nach Westen und machte so eine Sonnenuhr aus seinem Heim. Aber das helle Licht warf auch dunkle Schatten in die Wohnung, sodass Tag und Nacht manchmal nicht zu unterscheiden waren. Jameson gefiel das.
Sein Sweater landete auf dem granitfarbenen Tresen, der das Esszimmer vom Küchenbereich teilte. Er zog den Reißverschluss seiner Jeans auf und ließ sie auf die Hüften rutschen. Der Stress des Tages schien mit jedem Kleidungsstück, das er auszog, etwas mehr zu verschwinden.
"Ich würde auch nackt Rad schlagen, wenn das mir helfen würde, in diesem
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