Das Internat
jetzt, Jahrzehnte später, machte ihn die Qual der Frau nachdenklich. Egal wie unschuldig der Impuls war, die Tragödie war immer da, lag immer auf der Lauer.
Sein Magen knurrte und erinnerte ihn so daran, dass das Frühstück an diesem Tag bisher seine einzige Mahlzeit gewesen war. Im Kühlschrank standen noch ein Fertiggericht und eine kleine Flasche Orangensaft, aber der Rote Tod gab immer noch Zeichen. Er konnte es genauso gut auch gleich hinter sich bringen.
Auf dem Weg zurück zum blinkenden Gerät, machte Jameson geistesabwesend einen kleinen Umweg, um die Tür zu seiner Hi-Fi-Anlage zu schließen. Die Putzfrau musste sie vergessen haben. Letzte Woche hatte sie eine Schublade in der Küche vergessen zu schließen. Ihm fielen solche Dinge auf. Geöffnete Schubladen, verlorene Bänder. Ein verlorenes Mädchen in einem Kreis von vieren.
Ein. Verlorenes. Mädchen.
Jameson hielt inne. Er hatte in den Jahrbüchern Bilder von drei Mädchen gefunden – Ivy White, Jane Dunbar und Breeze Wheeler, aber keines von Mattie Smith. Er konnte immer noch ihr Gesicht sehen, als er sie heute Morgen nach dem Mord gefragt hatte. Bevor sie das Thema so unwirsch vom Tisch gefegt hatte, hatte sie einen Sekundenbruchteil lang entsetzt ausgesehen.
Woher kannte er diesen Blick? Konnte sie die misstrauische kleine Range gewesen sein, die sich hinter den Bäumen versteckt und ihn beim Ausladen des Trucks beobachtet hatte? Einmal wollte er sich ihr damals nähern, aber sie hatte ihn angespuckt und war weggerannt. War die ehrwürdige Richterin des Neunten Bundesberufungsgerichts
das
wilde Ding gewesen?
Er ging hinüber zum Roten Tod, drückte die Taste, die die Nachrichten zurückspulte, verschränkte die Arme und hörte den ersten Anruf ab. Es war Carson Silvers, sein langjähriger Literaturagent.
"Jim", bellte er, "wo ist das Exposé zu dem Megaseller, den du mir versprochen hast? Ich hoffe wirklich, dass du nicht mit diesem Mist von Internatsmord beschäftigt bist. Du bist viel zu dicht an der Geschichte dran, Jim. Überlass das jemandem mit mehr Objektivität."
Jameson grinste. Carson hatte wie immer recht. Kein Mann konnte tiefer drinstecken als Jameson, aber das hieß nicht, dass diese Geschichte nicht auch ein großartiges Buch werden würde, wenn es so weit wäre. Jameson hatte sich sogar an seinen Freund Frank O'Neill gewandt, den amtierenden Bezirksstaatsanwalt von Marin County, um Zugang zu den Aufzeichnungen und Beweisen zu bekommen, darunter einige Videokassetten, die die Direktorin als Lehrhilfen hatte machen lassen. Er hatte auch die Gutachten aus den Laboren und von der Autopsie angefordert.
Frank hatte ihn ausgelacht. Sie trafen sich einmal die Woche im "Athletic Club" zum Racquetball und hinterher, in der Dampfsauna, hatte Jameson von den versiegelten Dokumenten angefangen.
"Du weißt, dass ich das nicht machen kann, Kumpel", hatte Frank gesagt, als sie sich in ihren weißen Frottierhandtüchern gegenübersaßen. "Nur der Richter, der sie hat versiegeln lassen, kann das aufheben. Und wenn du das erreichen willst, musst du dir einen Anwalt suchen und einen Antrag beim Amtsrichter stellen."
Jameson hatte wissen wollen, warum die Aufzeichnungen immer noch unter Verschluss seien, aber Frank ging auch darauf nicht weiter ein. Daraufhin hatte Jameson nach einem anderen Ansatz gesucht, hatte direkt mit den Quellen angefangen. Er war mit Mattie Smith und ihren Freundinnen noch nicht fertig.
Er löschte Carsons Nachricht.
"Hier ist William", sagte der nächste Anrufer in einem angespannten Flüsterton, "William Broud. Du hast mir deine Hilfe angeboten, und ich hoffe, du stehst dazu. Ich bin im Excelsior-Hotel in San Rafael, und ich will reden. Aber komm nicht gleich, ich brauche etwas Ruhe. Warte bis morgen Mittag."
Jameson hörte sich die Nachricht noch einmal an, auf der Suche nach Hinweisen, die erklärten, warum Broud seine Meinung geändert hatte. Der Flüsterton deutete darauf hin, dass er vermutete, belauscht zu werden. Das war alles, was Jameson aus der Nachricht schließen konnte, aber er fand es interessant, dass sich Broud in San Rafael aufhielt. Der kleine Küstenort lag etwa eine halbe Stunde von der Highway 101 entfernt – für Jameson eine Heimreise.
William Broud fürchtete, dass die Matratze ihn vollkommen verschlingen würde. Mit jeder Bewegung schien er tiefer zu versinken. Es gab keine harten Stellen, an denen er hätte Halt finden können, nicht einmal am Rand. Die aufgeplusterten Federkissen
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