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Das irische Erbe

Das irische Erbe

Titel: Das irische Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Clemens
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unverändert an die Tür gedrängt stehen. Ihre Muskulatur war angespannt, die Ohren leicht nach hinten angelegt, ihre Augen angstvoll geweitet.
    Claire begann zu lesen, warf dem Tier aber immer wieder einen Blick zu.
    Nach zehn Minuten schien das Tier etwas ruhiger zu werden. Die Ohren schnellten vor und zurück, als wolle es die Lage peilen. Dann senkte es den Kopf und raschelte im Stroh.
    Claire begann zu summen, blieb aber unbeweglich sitzen.
    Die Stute hob den Kopf, sah aber nicht in ihre Richtung.
    »Na, komm doch«, summte sie.
    Das Tier blieb reglos stehen. Fünf Minuten. Zehn Minuten. Dann scharrte die Stute einmal mit einem Fuß. Claire summte weiter. Wieder senkte sich die Nase zu Boden, um aber gleich wieder hochzukommen. Und dann ließ das Tier ein leises, zögerndes Schnauben hören. Und sah zu ihr hin.
    Claire blieb ruhig sitzen und sagte wieder: »Na, komm schon.«
    Wieder schnaubte das Tier, aber es hörte sich jetzt nicht mehr so ängstlich an. Nach weiteren zehn Minuten machte die Stute einen zaghaften Schritt in ihre Richtung, die Ohren spielten vor und zurück, die Nüstern immer noch gebläht. Sie reckte den Hals, als wolle sie ihre Witterung aufnehmen, und Claire war froh, dass sie kein Parfum benutzte.
    Sie rührte sich nicht und wartete. Die Stute machte einen weiteren Schritt auf sie zu, hob den Kopf, schaute zu ihr hin und kam noch einen Schritt vor.
    Claire dachte an Tim, der staunen würde. Hoffentlich blieb er noch eine Weile fort. Die Stute wieherte leise, aber nicht ängstlich, eher neugierig. Und dann kam sie Schritt für Schritt in ihre Richtung, beschnüffelte zaghaft ihren Arm, ihre Schulter und ihre Knie.
    Sie hatte gewonnen.

    Tim war wütend. Zum ersten Mal erlebte sie ihn richtig aufgebracht.
    »Wie konntest du nur?«, fragte er und sprach gleich weiter: »Sie hätte dich zu Tode trampeln können. Du musst von allen Geistern verlassen sein. Ich verstehe dich nicht. Du hast doch Angst vor Pferden.«
    »Ja, ich weiß, dass ich dir besser Bescheid gesagt hätte«, versuchte sie ihn zu beruhigen. »Aber du hättest es mir niemals erlaubt.«
    »Genau. Was ist bloß in dich gefahren?«
    Er war früher als erwartet zurückgekommen und als er sie nicht im Haus fand, ging er zum Stall, weil er sah, dass die Tür offen stand. Und dann hörte er ihre leise Stimme. Als er sie rief, antwortete sie schnell, er solle stehen bleiben und warten. Das tat er beunruhigt. Sie rutschte vorsichtig von dem Vorsprung, sprach dabei die ganze Zeit mit der Stute und ging ganz langsam zur Boxentür. Das Tier kam hinter ihr her. So leise wie möglich schob sie den Riegel zurück, drückte die Tür auf und drehte sich dann zur Stute um, die vor ihr stand und ganz ruhig wirkte. Sacht gab sie ihr ein Stück trockenes Brot und ging dann langsam aus der Box. Erst als sie den Riegel wieder vorschob, kam Tim.
    »Claire …«
    Sie unterbrach ihn leise.
    »Bleib da.«
    Die Stute stand vor der Boxentür, als warte sie auf etwas. Sie gab ihr durch die Gitterstäbe noch ein Stück Brot und ging dann langsam fort.
    Tim war kreidebleich geworden. Als sie auf den Hof hinaustraten, begann er zu schimpfen. Claire versuchte ihn zu beschwichtigen, aber er hörte ihr nicht zu, nannte sie leichtsinnig und verantwortungslos und konnte sich nicht beruhigen. Sie wartete, bis er sein Pulver verschossen hatte und versuchte dann eine Erklärung.
    »Sie hat mich vor ein paar Tagen so angesehen. Ich hatte den Eindruck, sie suche Hilfe. Und dann bin ich in ihre Box geklettert.«
    Tim schüttelte den Kopf und fragte sie, was sie sich dabei bloß gedacht hatte.
    »Ich habe vor einigen Wochen ein Buch über Tierpsychologie gelesen.«
    »Tierpsychologie?«
    »Ja, Viktor hatte es mir gekauft, weil er der Meinung ist, ich hasse seine Katze.«
    »Was, Viktor hat eine Katze?«, fragte Tim verwundert. »Kann ich mir von ihm gar nicht vorstellen.«
    »Doch, er hat einen Kater. Ascot, ein intrigantes hochnäsiges Tier.«
    In Tims Lachen spielte Erleichterung mit.
    »Jedenfalls«, fuhr sie fort, »ich habe das Buch gelesen, weil Viktor immer nachhört, wie mir ein Geschenk gefallen hat.«
    »Und jetzt liebst du seinen Kater, was?«, spottete Tim.
    »Nein, er ist immer noch intrigant und hochnäsig.«
    »Und wie äußert sich das?«
    Sie warf ihm einen genervten Blick zu.
    »Er beachtet mich nicht und wenn er auf Viktors Schoß sitzt, sieht er mich schadenfroh an.«
    Tim grinste.
    »Wahrscheinlich denkt Viktor, dass du auf das Tier eifersüchtig

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