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Das irische Erbe

Das irische Erbe

Titel: Das irische Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dagmar Clemens
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ging sie sanft mit der Bürste über die breite Stirn der Stute. Zufrieden sah sie das Tier an. Jetzt glänzte sie noch mehr.
    Tim kam wieder.
    »Jetzt noch die Hufe auskratzen«, er stellte den Besen weg und zeigte es ihr.
    »Sie muss das Gewicht auf die andere Seite verlagern, damit du das Bein hochheben kannst.«
    Er drückte gegen die Schulter und die Stute hob sofort das linke Vorderbein hoch.
    »Jetzt du. Hinten geht es genauso.«
    Vorne ging es ganz gut. Aber bei den Hinterbeinen hielt sie zu großen Abstand. Esquire hob zwar das Bein, setzte es aber sofort wieder ab, weil sie es nicht festhielt.
    »Du musst dichter ran«, sage Tim lakonisch.
    Das ging schon besser, aber sie rutschte mit den Händen ab.
    »Und du musst fester zupacken. Und dann das Bein mit deinem Oberschenkel abstützen.«
    Diesmal klappte es.
    Vorsichtig kratzte sie die Hufe aus und bepinselte sie dann mit würzig riechendem, grünen Huffett.
    Tim nickte zufrieden und verschwand wieder.

    Claire musste an eines von Viktors Seminaren denken, von dem er erzählt hatte. Es war bei den Managern wohl gerade der letzte Schrei, Seminare mit dem Einsatz von Tieren zu machen. Bei Viktors Seminar waren es Lamas. Als Viktor ihr davon erzählte, glaubte sie zuerst, er mache einen Scherz. Aber dem war nicht so. Er erklärte, Lamas seien anderen Tieren wie zum Beispiel Pferden überlegen, weil sie sich schon alleine durch ihre Größe auf Augenhöhe mit dem Menschen befänden und so keine zusätzlichen Ängste erzeugten.
    Claire bemühte sich immer, offen für alles zu sein. Aber als sie sich vorstellte, Viktor, im Maßanzug und mit seinen teuren Lederschuhen, führe ein spuckendes Lama durch steiles Gelände oder über enge Pfade, musste sie an sich halten. Viktor, durch sein Lamaseminar nun geschult, merkte, dass sie ihn nicht ernst nahm und bemühte sich, ihr mit seiner neu gewonnenen ruhigen Autorität zu erklären, dass Lamas wie ein Spiegel funktionierten. Von den sehr sensiblen Tieren bekämen Seminarteilnehmer ein schnelles und eindeutiges Feedback. Claire dachte insgeheim, dass Viktor von ihr auch schnelle Feedbacks bekommen konnte. Aber die würde er natürlich nicht annehmen. Schließlich war sie kein Lama.
    Er erklärte weiter, Lamas ließen sich von einfacher Dominanz und starker Autorität nicht beeindrucken und schon gar nicht führen. »Und das ist das Problem der meisten Manager«, führte Viktor aus.
    Claire fand die Idee einfach nur albern, ließ Viktor aber reden. Sie erfuhr noch, dass den Seminarteilnehmern durch die Tiere ihre verkrampften Verhaltensweisen deutlicher gemacht werden konnten und dass sie zudem die Erfahrung machten, dass weniger Druck mehr Kraft erzeugen konnte.
    Wie albern.
    Sie verließ Esquire und ging zu Scabri, der sie neugierig beschnupperte und die Beine von selbst hob. Als sie fertig war, klopfte sie den Striegel auf dem Boden ab und überlegte, ob sie ihn nicht unter Wasser halten sollte.
    Wieder musste sie an die Lamas denken. Ob die auch geputzt werden mussten? Als Viktor damals auf ihre Zustimmung wartete, wusste sie nicht, ob sie ihm ehrlich sagen sollte, was sie davon hielt. Sie meinte schließlich, sie könne sich nicht vorstellen, dass spuckende Lamas, die alles mit sich machen ließen, viel zur Erkenntnis eigener Charakterzüge beitragen konnten. Aber Viktor wies sie darauf hin, dass Lamas sehr eigensinnig sein konnten und klare und eindeutige Anweisungen brauchten.
    Und sie würden überhaupt nicht spucken. Sie lachte leise.
    »Claire.«
    Tim stand mit Ben Hastings in der Tür. Der Architekt musterte sie neugierig.
    »Oh, hallo«, sie erhob sich. »Ich habe Sie ganz vergessen«, sie reichte ihm die Hand, zog sie aber sofort wieder zurück.
    »Ich muss mir schnell die Hände waschen. Tim, geh doch mit Herrn Hastings schon einmal ins Haus. Ich komme sofort nach.«
    Als sie vor dem Spiegel im Badezimmer stand, erschrak sie. Ihr Zopf hatte sich gelöst, Strähnen hingen ihr ins Gesicht. Das restliche Haar war mit einer leichten Staubschicht bedeckt. Sie trug kein Make-up und eine alte verschlissene Jeans und einen weiten Pullover von Tim. Sie überlegte, ob sie schnell duschen sollte, aber sie wollte die Männer nicht so lange warten lassen. Also kämmte sie sich nur rasch die Haare, band sie wieder zusammen, wusch sich Gesicht und Hände und ging wieder hinaus.

    Die beiden Männer standen im Flur. Ben sah ihr entgegen. Sie konnte seinen Gesichtsausdruck nicht richtig deuten und war einen Moment

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