Das irische Erbe
sie einen Schwall irischer Worte, von denen sie kein einziges verstand.
Langsam schlenderten sie zu der Reithalle, in der die Auktion stattfinden sollte. Tim bekam einen Auktionskatalog in die Hand gedrückt und warf einen Blick auf die Besuchertribüne, die noch ziemlich leer war. Er schlug vor, einmal durch die Stallungen zu gehen und sich alles anzusehen. Claire war einverstanden. Sie gingen an großen Boxen vorbei, über sauber gefegte Stallgassen. Tim blieb bei dem einen oder anderen Pferd stehen und erklärte ihr dessen Vorzüge oder Nachteile und sie versuchte, seine Ausführungen zu verstehen.
Dann wurde es Zeit und sie gingen zurück zur Halle. Die Tribüne hatte sich mittlerweile gefüllt, aber sie fanden noch zwei nebeneinanderliegende Plätze.
Claire blätterte in dem Heft und betrachtete die Fotos. Alle Pferde sahen gut aus, waren sauber geputzt und frisiert. Bei einigen war sogar die Mähne eingeflochten. Die Ponys befanden sich ganz hinten im Heft und wirkten brav und gut erzogen.
Dann ging es los. Es war für Claire die erste Auktion und sie ärgerte sich sofort, weil viele der Besucher offenbar gar nicht mitsteigern wollten. Sie redeten laut, lachten, einer packte sogar ein Brot aus. Sie selbst war aufgeregt und verglich die vorgeführten Tiere mit den Fotos im Katalog. Die meisten Pferde enttäuschten sie aber. Eine Rappstute, die auf der Abbildung sehr edel und rassig gewirkt hatte, war in Wirklichkeit klein und hochbeinig und gefiel ihr überhaupt nicht mehr. Sie hatte einen schleichenden Gang, der sich auch nicht verbesserte, als der Vorführer mit der Zunge schnalzte.
»Sie geht nicht im Takt«, erklärte Tim. »Und sie zieht das rechte Hinterbein etwas nach. Nicht viel, aber man sieht es.«
Dann kam ein Fuchswallach, dessen Fell wie Öl glänzte. Er wieherte einmal laut und sie verglich auch ihn mit dem Foto im Katalog.
»Der scheint in Ordnung zu sein, oder?«, fragte sie leise. Aber ihr Bruder schüttelte den Kopf. Sie fragte nicht nach, irgendwann würde sie auch mehr von Pferden verstehen.
Sie beobachtete einen Bieter, der an einem Hengst interessiert war und das Tier schließlich auch ersteigerte, obwohl es unter dem Reiter mehrmals stieg. Der Hengst gefiel ihr. Er war ganz dunkel, fast schwarz, mit einer langen wilden Mähne und einem dichten Schweif. Er hieß laut Katalog › Mortimer ‹ , was total zu ihm passte. Dann kam eine Schimmelstute, deren Schweif ebenfalls ganz dicht war und die sehr edel aussah mit ihrem seidig schimmernden Fell. Sie stupste Tim an und sagte, dass das Tier ihr gut gefalle, und Tim flüsterte: »Die taugt nichts, sieh dir doch mal die Kruppe an!«
Die Kruppe des Tieres war im Schachbrettmuster gebürstet, was sie ungeheuer chic fand.
»Wie kriegt man das hin?«, fragte sie. »Es sieht einfach toll aus.«
Tim lachte.
»Sie ist überbaut, deshalb hat man sie vielleicht auch so herausgeputzt.«
Tim hatte sicher recht, aber sie fand das Tier schön und zerbrach sich den Kopf darüber, wie man das Muster hinbekommen hatte.
Ihr gefiel noch eine andere Schimmelstute, ein großes Tier mit schönem Kopf. Aber auch an dieser fand Tim etwas auszusetzen.
»Sie ist kuhhessig«, raunte er ihr zu.
»Tatsächlich?«, fragte sie und hatte keine Ahnung, was er damit meinte.
Dann kamen die drei Ponys. Die Tribüne leerte ich bereits, nur noch zwei Männer blieben sitzen. Die Ponys taugten nichts. Ein kleiner Haflinger wehrte sich vehement gegen die Hand der Reiterin und reckte den Hals immer wieder bis zum Boden. Die junge Reiterin verzweifelte fast und gab ihm schließlich einen leichten Klaps mit der Gerte. Ein Fuchs mit zu großem Kopf bockte und weigerte sich, näher an die Bande zu gehen. Und ein Brauner schlug mit dem Kopf und blieb in der Mitte der Halle stehen, so sehr der Reiter auch die Schenkel einsetzte.
»Was hat es denn?«, fragte sie Tim.
»Er ist schlecht ausgebildet, das gilt für die beiden anderen auch. Der Fuchs hat Sattelzwang, sieh dir mal an, wie er den Rücken verspannt.«
Das Tier wirkte tatsächlich ziemlich verkrampft.
»Und sie haben ihn schon müde gemacht, damit er sich überhaupt satteln lässt«, mutmaßte Tim. »Er ist am Hals schon schweißnass.«
Dennoch fanden die Ponys einen neuen Besitzer, einen älteren Mann, der nicht sehr vertrauenerweckend aussah.
Nach der Auktion blieb Tim bei Bekannten stehen, mit denen er sich auf Englisch unterhielt, und Claire registrierte befriedigt, wie gut er die Sprache schon beherrschte.
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