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Das Isaac-Quartett

Das Isaac-Quartett

Titel: Das Isaac-Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jerome Charyn
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Feuerleitern und auf der Farm. Sie beweinten ihre andauernde Kindheit, die weißen Stellen, die schon so früh auf Jerónimos Schädel gesprossen waren, die kleinen Demütigungen, die ihre Knöchel hatten schwellen und ihre Hälse sich in der Bronx verkürzen lassen, ihre Unzulänglichkeit im Gelderwerb, ihre Abhängigkeit von Brüdern, Vätern und einer Schwägerin, ihren rauschhaft tiefen Schlaf, in dem sie von Winterstürmen träumten, von überfluteten Abwasserkanälen, einstürzenden Feuertreppen, brennenden Dächern, Vulkanausbrüchen in der Bronx, die Furcht, die sie in ihren wachen Stunden mit sich trugen. Sheb löste sich aus dem Griff und wischte die Augen des Babys mit einem Ärmel seines Schlafanzugs ab. Morris zwinkerte Irwin zu. »Bematscht.« Das Baby zog den Abschied in die Länge, forschte mit einem halben Knöchel unter Shebbys Ärmel. Sheb verstand die Tragweite dieser Geste; das Baby würde nicht vor dem Herbst zurückkommen. »Jerónimo, sieh dich vor toten Ästen vor. Komm nicht mit einem Splitter im Arsch zurück.« Sie küssten sich ein letztes Mal. Als Jerónimo fort war, gab Sheb die Dollarnoten Morris (das Toilettenpapier behielt er). »Such deine Zähne, und geh an die Ecke. Hol uns eine schöne Mischung. Ein paar Aprikosen, ein paar Birnen, ein paar Pflaumen.«
    »Und Datteln«, sagte Irwin.
    »Und Datteln«, bestätigte Sheb. »Ohne seine Datteln kann der Kerl nicht scheißen.«
    Jerónimo wirbelte durch die Schwesternstation. Die alten Männer, die in ihren Bademänteln im Korridor standen, entdeckten hüpfende Ohrenschützer und ein marineblaues Cape. Sie fragten sich, wie viel Unheil ein blauer Mantel bringen konnte. Das Baby sah Isaac und seinen Chauffeur auf der Treppe stehen. Brodsky grinste und schwenkte seine Handschellen vor Jerónimos Gesicht. Isaac trug einen Pappkarton unter dem Arm.
    »Wir haben ihn«, quietschte Brodsky, der vor Vorfreude kaum an sich halten konnte. »Soll ich mich an seine Arme oder an die Beine machen, Chef?«
    Brodsky blockierte die Treppe, und das Baby konnte nur über den Kopf des Chauffeurs klettern oder aufs Dach rennen. Jerónimo kauerte sich zusammen. Isaac brachte Brodsky dazu, die Handschellen sinken zu lassen. »Komm runter, Jerónimo.«
    Brodsky flüsterte dem Chef ins Ohr: »Isaac, sei nicht so komisch. Leg ihm ein Armband um den Fuß, und er führt uns zu Zorro. Ich habe schon mit Dummköpfen zu tun gehabt. Ich kenne ihre Macke.«
    »Brodsky, geh ihm aus dem Weg.«
    Der Chauffeur verzog sich in eine Ecke; sein Gesicht schwoll vor Bedauern an. Brodsky hatte mit so viel Vehemenz Partei für Isaac ergriffen, dass er keinen Guzmann laufenlassen konnte, ohne sich damit selbst etwas anzutun. Er musste schrecklich husten. Isaac tröstete ihn nicht. Das Baby zog beide Schultern nacheinander ein und schlüpfte zwischen Isaac und seinem Chauffeur durch, ohne einen von beiden zu berühren (eine bemerkenswerte Leistung in Anbetracht der Enge des Treppenhauses und des stämmigen Körperbaus des Chauffeurs). Isaac musste sich eilen, sonst hätte er ihm nichts mehr nachrufen können.
    »Jerónimo, sag deinem Vater, dass er in diesem Sommer gefrorene Beeren ernten könnte. Ich werde mich nach ihm umsehen. Zwischen hier und Loch Sheldrake steht keine Chinesische Mauer. Jerónimo …«
    Der Junge war außer Reichweite. Isaac schickte Brodsky die Treppe hinauf und fort von Jerónimos Spuren.
    »Ich kann ihn abfangen, Isaac. So leicht kann er meinem Bus nicht ausweichen.«
    »Wir sind wegen Shebby hergekommen, nicht wegen des Jungen. Zorro geht mir nicht durch die Lappen. Dazu brauche ich kein Baby.«
    Sie gingen an der Schwesternstation vorbei, ließen ihre Abzeichen aufflackern und betraten Shebbys Zimmer. Morris, Sam und Irwin waren noch nie von einem Deputy Chief Inspector unterhalten worden. Sie reihten sich für Isaac auf und verbargen die Eierflecken auf ihren Schlafanzügen. Sie versicherten Isaacs Chauffeur, wie zufrieden sie mit der Polizei waren. »Zu uns, da kommen keine Vagabunden rauf«, zwitscherte Morris. Doch Shebby wollte sich nicht festlegen. Er fasste Sam ins Auge, der zufällig in seiner Blickrichtung stand, und bedachte seine Bereitwilligkeit, Isaac in den Arsch zu kriechen, mit einem finsteren Blick. Sheb ließ sich nicht so einfach rumkriegen. Nicht umsonst hatte er in der Boston Road Eier durchleuchtet. In der Dunkelheit von Alberts Laden hatte er immer als Erster den Aufprall von Buchmachern und anderen schicken Typen gehört, die von

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