Das Isaac-Quartett
die Spaziergänge des Babys eingewilligt hätte, wäre er mit langen Kratzern im Gesicht ins vegetarische Restaurant gekommen. »Jerónimo, schau dich um, ehe du über eine Kreuzung gehst. Wir sind auf Isaacs Gebiet. Wenn du entführt wirst, brauche ich keine Sterbekasse. Dein Vater und dein Bruder würden mich auseinandernehmen.« Er zog dem Baby dicke Pullover, eine Matrosenjacke und Ohrenschützer an. »Lieber zu warm als zu kalt. Das Wetter kann umschlagen. Und in einem solchen Bündel erwartet dich kein Bulle.« Boris wollte seine Brieftasche rausholen und klopfte seine leere Tasche aus; das Baby hatte seine Seitentasche ausgeräumt. Wie die Affen, dachte Boris. Eine Familie von Dieben. Doch bisher hatte ihm das Baby kein Geld gestohlen. »Zwei Dollar? Jerónimo, wieso ausgerechnet zwei Dollar?« Boris zankte sich nicht über den Diebstahl. Für das Zimmer und die Verpflegung zahlten ihm die Guzmanns hundert pro Woche, und er konnte zwei Dollar von seinem Gewinn abziehen, ohne sich wahrhaft zu schaden. »Jerónimo, der Schlüssel liegt unter dem Mülleimer im Gang. Er passt in das obere Schloss. Nicht in das untere. Dreh ihn mit beiden Händen um. Sonst fällt er dir noch aus der Hand.«
Das Baby ging aus dem Haus. Es bahnte sich einen Weg durch Stapel von Zeitungen auf der Treppe, tastete mit einem Schuh nach festem Untergrund und ließ den anderen Schuh solange flach auf dem Boden stehen. Der Hausverwalter legte die unrhythmischen Laute falsch aus und glaubte, im zweiten Stock wohne ein zerfahrener Krüppel. Jerónimo fand die modrigen Gerüche, die aus der Diele des Hausmeisters drangen, weitaus widerlicher als den natürlicheren Gestank im Freien. Auf der Straße nahm seine Haut eine Rosafärbung an. Um die Augen herum war er dunkelrot, und die Farbe breitete sich bis zu einem klar umrissenen Klecks hinter den Ohren aus. Auf halbem Wege zwischen der Wohnung des Lotsen und der ersten Kreuzung hob er seine Knie bis über den Gürtel. Seine Ohrenschützer rutschten bei jedem Schritt höher. Einen derart erstaunlichen Gang waren die Anlieger der Neunzigsten Straße nicht gewohnt. Das Baby konnte Dreirädern und Fuhrwerken ausweichen, ohne seine Fersen zu verlagern. Sein Kopf wich nicht von einer geraden Linie ab. Verrohte Straßenkatzen, einige mit Narben im Schnurrbart, ließen Hühnerflügel fallen und rannten vor den stapfenden Lauten des Babys davon. In weniger als drei Minuten stand er auf der anderen Broadway-Seite vor dem Eingang des Manhattan-Feierabendhauses. Die Krankenschwestern übten Nachsicht mit ihm. Sie wussten, dass er der grauhaarige Junge war, der Sheb Coen besuchte. Jerónimo legte die beiden klebrigen Dollarscheine und eine Handvoll Toilettenpapier in den Ellbogen von Shebs Schlafanzug. Sie küssten einander vor den Mitbewohnern (Männer und Frauen aus einer anderen Etage), und der Klecks auf Jerónimos Hals löste sich auf. Shebby wurde von den anderen nicht zur Rede gestellt, weil er in einem öffentlichen Schlafsaal jemanden küsste. Niemand ließ sich von dem buschigen, grauen Haar oder von Jerónimos Rundlichkeit in der Matrosenjacke täuschen. Er hatte alle Kennzeichen eines Guzmanns; pralle Backen, Höcker auf der Stirn, tief liegende Augen und die gegabelte Lippenform. Shebbys Nachbarn wollten den Jungen ausziehen. Sie zogen an seinen Ärmeln, versuchten, ihm die Ohrenschützer abzuziehen. Shebby heulte in seinem Bett auf. »Lasst ihn los, ihr Schurken. Was er anhat, ist für jedes Wetter richtig. Ich zerstückele euch, wenn ihr mit seinen Ohren rumspielt. Jerónimo, der ist wie eine Schwester zu mir, besser als jeder Neffe oder Bruder. Bringt mir Dollar, und keine unangenehmen Nachrichten.«
Sheb musste mit Bücherstützen und Medizinflaschen nach ihnen werfen, ehe seine Nachbarn von Jerónimo abließen. Jerónimo blieb mit einem Ohrenschützer über dem Mund zurück. Sheb richtete das Baby wieder her, wickelte es wieder ein. Die Nachbarn verstreuten sich, und jetzt musste Sheb sich um seine eigenen Zimmergenossen kümmern. »Macht Platz für den Jungen, ihr Schurken.«
Ohne jede Vorreden oder Erklärungen verschränkten Sheb und das Baby ihre Hände ineinander und begannen zu weinen; ihr lautes Schluchzen alarmierte die Zimmergenossen, Morris, Sam und Irwin, weil ihnen keine Ursache für eine derart spontane Erschütterung ersichtlich war, und sie nicht wissen konnten, dass Sheb und das Baby langem Weinen ergeben waren, dass sie sich so schon im Eierladen verhalten hatten, unter
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