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Das Isaac-Quartett

Das Isaac-Quartett

Titel: Das Isaac-Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jerome Charyn
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den Dächern fielen, weil sie ihre Sympathien etwas zu oft verlagert hatten. Sheb konnte nicht Jerónimo küssen und sich dann in Isaacs Gegenwart wohlfühlen. Als nächstem Anverwandten stand ihm die private Habe aus Coens Schließfach bei der Polizei zu, ebenso Coens Brieftasche und die kurze Hose, das blaue Hemd und die Leinenschuhe, in denen Coen gestorben war; all das holte Isaac aus dem Pappkarton und übergab es Sheb. Irwin sah ehrfürchtig das Blut auf den Leinenschuhen und dem Hemd an. Morris und Sam begeisterten sich für Coens Schuhlöffel.
    »Armer Kerl«, murmelte Brodsky nah genug an Isaacs Ohr und entschuldigte sich dann bei Sheb. »Tut mir leid, Mr. Coen. Aber Ihr Neffe war einfach ein toller Bulle. Er war gefürchtet bei uns, wirklich wahr. Das Tischtennis, da hat’s ihn erwischt. Auf der Straße war er zu stark.«
    »Weiß ich etwa nicht, wer mein Neffe ist?«, sagte Shebby. »Warum habt ihr mir seine stinkenden Klamotten gebracht?«
    »Habschaft«, sagte Brodsky, stolz auf sein Vokabular. »Andenken. Was ist nur los mit Ihnen? Sie sollten Respekt vor dem Krempel eines Toten haben.«
    Shebby räumte die Brieftasche aus. Er fand gewisse Versicherungsbelege, Bilder von den Töchtern einer früheren Frau. Er riss alle Seitentaschen auf. »Wo ist das Geld?«
    »Das ist etwas komplizierter, Mr. Coen. Das ist noch bei uns in Verwahrung. Machen Sie sich keine Sorgen, Sie werden es bekommen. Etwa vier Dollar in Münzen. Aber was bedeuten Ihnen vier Dollar? Sie sind ein reicher Mann, Mr. Coen.« Brodsky stieß seinen Chef in die Rippen; er brauchte Beistand. »Zeig ihm Manfreds Versicherungspolice, Isaac.«
    Isaac hatte den Schuhlöffel angestarrt, die Leinenschuhe, die verschmutzte Tasche, die Rasierklingen, das Zahnputzglas, einen verbogenen Löffel, Überbleibsel eines bedauernswerten Menschen, und er fühlte sich schäbig und gemein, weil er in der Zwangslage war, Coen zu rühmen, ihn vor Sheb und seinen drei Kumpeln aufzudonnern. Sheb brauchte keine Glückseligkeit von Isaac. Daher beschränkte er sich auf die Versicherungspolicen in Papierhüllen, erzählte etwas von Lebensversicherungen und Treuhandgesellschaften, und als er die Summe errechnet hatte, teilte er allen Anwesenden mit, dass Sheb in circa fünf Jahren fünfzehntausend Dollar erhalten würde. Sam verrollte vor Ehrfurcht die Augen. »Fünfzehntausend?« Morris verschlug es vor Neid die Sprache. Irwin sah sich die Policen in ihren Hüllen an.
    »Shebby, wir werden die Größten sein. Nix mehr mit schwarzweiß. Wir können uns einen Farbfernseher leisten.«
    Sheb machte sich nichts aus Ungeheuerlichkeiten. »Vergessen Sie die fünfzehntausend. Geben Sie mir einfach die vier Dollar, die mir gehören.«
    Einer derart radikalen Kompromisslosigkeit war der Chef nicht gewachsen. Brodsky musste ihn an die Anstecknadel in seiner Tasche erinnern. »Esau«, sagte Brodsky. Isaac steckte die ganze Hand in die Tasche. Die Medaille besaß eine silberne Verstärkung, ein blau-weißes Band, und unter einem Widderhorn standen Coens Name und die Daten seines Frontdienstes. Isaac heftete die Medaille an Shebs Schlafanzug und stach sich dabei in den Finger. Bedächtig saugte er den Blutstropfen auf, verlas eine öffentliche Ehrung der Hands of Esau, in der Coens Tapferkeit bis hin zu seinem Tode betont und auf seinen Ehrenplatz unter den Nichtjuden und Juden hingewiesen wurde, dann drückte er Shebby die Hand, achtete dabei auf seinen blutenden Finger, und verließ, von Brodsky gefolgt, den Raum.
    Sheb hatte die Hälfte des Bandes abgeknabbert, ehe Sam und Irwin ihm die Medaille abnehmen konnten; im Handgemenge brach die Ordensspange ab, und Morris suchte die Einzelteile zusammen. Sheb hatte weiße und blaue Fäden im Mund. Irwin hielt ihm eine Strafpredigt. »Schwachkopf, so geht man nicht mit einer Medaille um.«
    Sheb weinte tonlos; nur seine Kehle bewegte sich. Die anderen wussten nicht, was sie tun sollten; gerade erst hatten sie Shebbys lautes, nasses Schluchzen mit Jerónimo verständnislos hingenommen. Auf Shebbys ganzem Körper fand sich keine Träne. Morris wedelte mit seinen Pranken vor Shebbys Augen. »Hasst du deinen Neffen so sehr, Sheb?«
    »Sag uns, was los ist«, sagte Irwin. »Sei fair, Shebby.«
    »Morris«, sagte Sam, »kauf ihm sein Backobst. Vielleicht feuchtet ihm eine Aprikose die Zunge an.«
    Die Fäden kräuselten sich unter Shebbys Lippen. Sam wagte nicht, sie wegzuziehen. Er verständigte sich mit Irwin, und sie erwarteten

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