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Das Isaac-Quartett

Das Isaac-Quartett

Titel: Das Isaac-Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jerome Charyn
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Ihr Herz schlug gegen die Rippen. Würde er sie ausziehen, ehe er ihr an die Gurgel ging? Würde sie abscheuliche Tricks vorführen müssen? Als er sich aus dem Hut und aus dem Mantel geschält hatte, sah sie seine Blässe. Er ließ sich in einen weichen Stuhl fallen. Odile spürte einen leisen Zorn auf César in sich aufsteigen; er schien überhaupt nichts von ihr zu wollen.
    »Zorro, möchtest du einen Imbiss?«
    »Keines von deinen Sandwiches«, sagte er. »Heb sie dir für die Kerle auf. Für wen sind die grünen Kerzen bestimmt?«
    »Sie sind für Coen.«
    »Ich hätte mir denken können, dass du Isaacs Knaben nachtrauerst.«
    Von César hatte sie keine Pietät zu erwarten. In den letzten zwanzig Jahren waren seine Gefühle für Coen abgestorben. Er hatte seine Brüder und seine Huren und einen chinesischen Killer. César hatte einen besseren Menschen aus dem Chinesen gemacht, hatte den Hang des Taxibanditen zu Gewalttätigkeiten abgelenkt, indem er ihm einige Huren zur Überwachung unterstellt hatte, und er hatte ihn mitgenommen in die Bronx, um gemeinsam Marranenwein zu trinken; einem Mann, der Schweinefleisch liebte, konnte er nicht misstrauen. César bedauerte, Chino verloren zu haben (er hätte wissen sollen, dass der Chinese bei seiner Jagd auf Coen verrecken würde), und er machte sich Sorgen um Jerónimos neues Versteck (solange Isaac Manhattan belagerte, musste er seine Besuche bei dem Baby ausfallen lassen), doch es bereitete ihm keine Schwierigkeiten, auf Odiles Stuhl zu schlafen. César schnarchte wie seine Brüder und schlief mit einer Hand auf seinen Eiern. Odile, die wusste, dass bei Zorro nichts zu holen war, wäre am liebsten ins Dwarf gerannt, hätte mit jemandem getanzt, ganz gleich, mit wem, einen Hüftknochen in ihren Leisten gespürt, doch sie wagte es nicht, den Raum zu verlassen. César hatte klare Vorstellungen. Er hätte seine Brüder losgeschickt, um das Dwarf auseinanderzunehmen, wenn er beim Erwachen keine Odette vorgefunden hätte. Daher musste sie sich damit begnügen, Wachs vom unteren Ende einer grünen Kerze zu knabbern und Zorros Schnarchen zu lauschen.
     
    Papa traf Vorbereitungen, um den Süßwarenladen zu schließen. Wenn die zweite Maiwoche vorüber war, mixte er niemals Sodas.
    Alejandro würde in der Bronx bleiben. Er würde über die Sommermonate in eine Kegelbahn ziehen und von dort aus Papas Geschäfte überwachen. Falls Papas bessere Kunden es vorziehen sollten, ihre Geschäfte auf anderen Wegen zu tätigen, während Papa nicht in der Stadt war, machte das nicht allzu viel aus. Im Herbst würde Papa sie zurückgewinnen. Für einen Stapel Zehn-Dollar-Wetten wollte er Loch Sheldrake nicht opfern. Er musste an seinen Obstgarten denken, an seine Beete, an die Erdbeer- und Brombeerzeit und an die Sicherheit seiner Jungen. In einem Obstgarten konnte Jerónimo nicht überfahren werden, und Jorge ging es ohnehin besser, wenn er sich nicht mit Straßenschildern und Verkehrsampeln herumquälen musste. Papa zündete für Coen und den Chinesen Kerzen auf dem Ablagebrett über seinen Malzmilchmaschinen an. Mit einem Spüllappen auf
    dem Schädel betete er zu Moses, spuckte nach Art der Marranen dreimal, damit Coen und der Chinese im Fegefeuer ruhen durften. Dennoch setzte er nur flüchtiges Vertrauen in die Kraft seiner Gebete. Er glaubte nicht daran, dass ein Einzelner die Nöte der Toten lindern konnte. Papa war nicht knauserig. Er hätte professionelle Kläger engagieren können, um die drei Richter des Fegefeuers (Salomo, Samuel und den Heiligen Hieronymus) mit kraftvollen Schreien aus mächtigen Lungen auszutricksen. Diese Kläger waren preisbewusst. Für jedermann, der ihren Preisvorstellungen entgegenkam, konnten sie mit einem Schrei Wände einreißen. Doch Papa reichten Schreie nicht aus. Die Toten brauchten ganze Familien, die für sie einschritten, Brüder, Schwestern, Väter, Neffen, Mütter, Söhne, die sich mit Spüllappen und Schals behängten, den christlichen Heiligen Pennys darboten, Moses mit einer Kerze besänftigten, hebräische Gebete in ihrer Transkription ins Portugiesische des sechzehnten Jahrhunderts rezitierten; Coen und der Chinese waren familienlose Männer ohne die Überlebenskniffe der Marranen.
    Für sich hatte Papa die Aussicht auf Unsterblichkeit abgeschrieben. Er hatte gelebt wie ein Hund, seinen Feinden die Nase abgebissen, auf zwei Kontinenten menschliche Scheiße berochen, in einer Kauerstellung geschlafen, um seine verletzbaren Weichteile zu

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